RANGIERBAHNHOF
Was ich fühle, wenn ich
am Rangierbahnhof vorbeikomme
(nie mit Absicht, sondern irgend-
wohin unterwegs) ist das, was andere
für etwas anderes empfinden. Ich
sehe die Gleise, die vielen Güter-
waggons – Kasten, Tanker, Tieflader –
alle regungslos und in solcher
Zahl, Puffer an Puffer, und
nirgends eine Lok (wo sind
die ganzen Loks?). Im Vorbei-
fahren sehe ich es mir von der
Seite an: Ein weiter, ausgestorbener
Rangierbahnhof. Kein Mensch zu sehen.
Dann liegt er hinter mir, und es
war nicht nur das Romantische daran
das mir etwas gibt, sondern noch etwas
für das ich keinen Namen habe
und weshalb ich mich jedesmal
besser fühle; wie andere sich besser
fühlen, wenn sie aufs offene Meer
schauen oder die Berge, oder wilde
Tiere sehen oder eine Frau. Auch ich
sehe das ganz gern, besonders wilde
Tiere und Frauen, doch beim Anblick
dieser prächtigen alten Güterwaggons
mit ihrer verblichenen Beschriftung –
die langgestreckten Flachen, die dicken
runden Tanks, alle aufgereiht
und wartend –
da werde ich ganz ruhig, ich
bekomme etwas, das andere von
etwas anderem haben, ich fühle
mich einfach besser; und es tut gut
sich besser zu fühlen, so oft man
kann, ohne sagen zu müssen
warum.
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EIN AUSFLUG NACH SPANIEN
Im Staat New York boten die Rennbahnen
damals eine Wette an, wo man die Sieger
von fünf Rennen auf einmal tippen konnte
und Harry ging mit tausend Dollar an
den Wettschalter und sagte
„1,8,3,7,5“
und genau die wurden Erste; also
reiste er mit Frau und Geld nach
Spanien, und in einem kleinen Dorf
verknallte sich seine Frau in den
Bürgermeister und trieb es mit ihm
und die Ehe war im Eimer. Harry
kam nach Brooklyn zurück, pleite
und gedeckelt, und ist seither
ein bisschen daneben. Aber
nicht verzweifeln, Harry – du
bist ein Genie. Wer sonst hätte
soviel pure Zuversicht und Courage
gehabt, an den Wettschalter zu gehn
und den Göttern der Logik ins
Gesicht zu sagen
„1,8,3,7,5“?
Du hast es getan.
Ja, sie hat sich den Bürgermeister
geangelt. Aber der wahre Gewinner
bist du. Für alle Zeiten.
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GEFÄHRLICH, DIESE DAMEN
Sie kommen zu Besuch und
sitzen mir gegenüber und reden.
Sie reden sehr laut und lachen
zuviel, bald habe ich einen
Brummschädel, während sie mir
von ihren Männern erzählen:
Den da musste man rauswerfen
und der da machte einen Selbstmord-
versuch, als sie ihn verließ.
Und sie reden weiter, lächeln
nicken und lachen, die meisten
sind ein bisschen füllig und
ein bisschen blond, und als sie
wieder weg sind, denke ich an die
Männer, die sie nötig hatten:
Männer, die imstande wären,
das Gas aufzudrehen, wenn sie
ihren Job als Lagerarbeiter bei
Sears-Roebuck verlieren.
Männer, die Frauen brauchen
wie einst ihre Mütter. Männer,
die laute lachende Zicken
brauchen, mit wenig seelischen
oder körperlichen Vorzügen.
Und die Frauen konsumieren
solche Männer wie Schokoriegel,
Erdnüsse und Sonnenblumenkerne,
links und rechts fliegen Schalen
und Stanniolpapierchen weg, und
uns anderen erzählen sie von
ihren Eroberungen, eine lauwarme
Dose Coors in der einen Hand und
eine Marlboro in der anderen.
(Aus „What matters most is how well you walk through the fire, Black Sparrow Press)
CHARLES BUKOWSKI (* 16. August 1920 in Andernach als Heinrich Karl Bukowski; † 9. März 1994 in San Pedro)
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