Silvester in Paris. Eine Warnung aus vier guten Gründen.
Grund Nr. 1. Weil man nachts nicht auf den Friedhöfen tanzen kann.
Der wahrscheinlich berühmteste Friedhof der Welt 'beherbergt' eine riesige Anzahl von Gräbern berühmter Persönlichkeiten. Balzac und Chopin liegen dort, der Schauspieler Montand, der Regisseur Chabrol, Monsieur Peugeot oder die Sängerin Piaf. Auch Jim Morrison, der Sänger und Texter von „The Doors“, der 1971 mit gerade mal 27 Jahren seinen Abgang hatte (siehe auch: Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Kurt Cobain und Amy Winehouse – im übrigen auch die Schlagersängerin Alexandra!) Und jeder Rockfreak, der was auf sich hält, war einmal im Leben am Grab von Jim. Ganz einfach, weil das so sein muss. Zunächst war es ein kleines Wunder, um diese Zeit überhaupt noch über die Mauern des Père Lachaise zu gelangen. Ich nutzte dazu einen der Müllcontainer in einer Seitenstraße, den ich mir dafür vorher ausguckte. Auf der anderen Seite landete ich in irgendwas morastigem, denn es hatte wie üblich in Paris den ganzen Tag geschifft. Der Plan war im Dunkel des Friedhofs mit Feuerzeuglicht kaum lesbar. Morrison liegt in Division 6 und der Friedhof hat nichts von der Logik der großen Boulevards, die Haussmann einst durch Paris hat baggern lassen. Die 6 grenzt an die 5 und außerdem an die 14, 15, 16 und 73. Wie sich herausstellte, verwirrte das nicht nur mich, sondern auch ein Pärchen aus Uruquay und einen Engländer, die ich unterwegs aufspürte – alle mit dem gleichen Ziel. Wenn man nachts zwischen Piaf und Balzac auf andere ähnlich gestörte Gestalten trifft, die vor Schreck zu Säulen erstarren, kommt man zunächst ganz schön aus der Komfortzone. Dann stiefelten wir zusammen los und fanden das Grab schließlich. Eine schlichte, fast verrottete Steinplatte, auf der eine leere ‚Jack Daniels‘ stand, aber das war nicht das einzige Erkennungszeichen. Das wesentlich deutlichere waren die zwei Ordnungsbeamten vom Friedhof, die hier jede Nacht solche Irren wie uns rauszogen. Wir kassierten ein Ordnungsgeld in der Höhe einer Hotelübernachtung. An den Rest der Nacht erinnere ich mich nicht mehr, aber ich schob vor Frust ab in meinen Kadett, in dem ich mich betrank, bis ich einschlief.
Grund Nr. 2. Es gibt nichts zu sehen.
Wir waren zu zweit und kamen mittags in die Stadt. Je eine Flasche Crémant im Gepäck, dazu allerlei Snacks, eine Packung Wunderkerzen und ca. fünf Gramm Afghanen, den ich in Paris stets im Défense erstand, weil ich wusste, dass man dort gut versorgt war. Ich schlug vor, dass wir uns auf die große Steintreppe am Montmarte setzen, weil man da einen riesigen Blick auf das Häusermeer hat, aus dem wir jede Menge Leuchtraketen und sonstiges Feuerwerk erwarteten. Die Stimmung war prächtig. Auf den Stufen saß junges Volk aus der ganzen Welt, das Sprachenwirrwarr gefiel uns und manche hatten ihre Instrumente dabei, auf denen sie klampften oder trommelten. Wir rauchten und tranken uns langsam ein, kamen mit den Nachbarn ins Gespräch und freuten uns auf das ganz große Lichterfestival, das sich uns gleich bieten würde. Jemand begann „Give Peace a Chance“ zu spielen und alle sangen mit. Es regnete leicht, aber unaufhörlich, wie fast immer im Pariser Winter, aber wir ließen uns von der Stimmung tragen und hielten fast geschlagene zwei Stunden bis Mitternacht aus. Nur noch eine Minute bis Zwölf und alle erhoben sich und es passierte: Nichts. Überhaupt nichts. Nicht einen einzigen Böller, Luftpfeifer, geschweige denn irgendeine Rakete war zu sehen. Jeder von uns erwartete die große Lichtshow und nichts passierte. Kurz danach löste sich der ganze Trubel wieder auf, weil wir inzwischen ordentlich durchnässt waren und dafür nicht mal belohnt wurden.
Grund Nr. 3. Weil man auch an Silvester beklaut wird.
Einige Jahre später, versuchten wir es erneut. Im Wissen darum, dass es auf dem Montmartre nichts wird, standen wir dieses Mal auf dem Place Trocadéro und schauten uns die Lichtershow am Eiffelturm an, die uns einige Zeit begeisterte. Auch hier waren Touristen aus der ganzen Welt, selbst aus allen Teilen Frankreichs, aber kein einziger Pariser, wie ich in zahlreichen Gesprächen herausfand. Als es anfing zu regnen, setzten wir uns ins Auto und kurvten rum. Punkt Zwölf kam der Verkehr am großen Stern des Arc de Triomphe zum Erliegen, als wir die Scheiben runterkurbelten und wildfremde Menschen uns herzten und küssten, die durch die Reihen der Autos liefen. Dafür hatten wir am nächsten Tag einen fetten Kater und einen Fotoapparat weniger.
Grund Nr. 4. Weil Parken zu teuer und man zu schnell besoffen ist.
Da ich nun wusste, wo die Pariser feiern, betraten wir im vierten und letzten Versuch gegen Neun eines der Bistros in unserem Viertel und ließen uns dort den Roten vom Haus schmecken. Wir hatten ein winziges, sehr zentral gelegenes Appartment, dafür aber keinen Parkplatz vorm Haus gekriegt. Ich schlug vor, den Wagen außerhalb der Innenstadtgrenzen zu parken, damit er nicht abgeschleppt wird, denn wenn die Pariser Polizei in einem bekannt ist, dann in dieser Disziplin. Sie holen dir quasi jeden Wagen aus der engsten Parklücke in Rekordzeit raus und es gibt weit weniger Parkplätze als Autos in dieser Stadt. Wir sitzen also in diesem Bistro und kriegen angenehme Gesellschaft von zwei oder drei Jungs aus der Nachbarschaft, aber das Trinktempo war einfach atemberaubend schnell. Die Indios kauen ihre Coca, die Mexikaner ziehen sich zwischen den Tequilas Meskalin ein, die Chinesen sind Weltmeister im Verzehr von Opium und manche Franzosen schütten den Rotwein wie andere Wasser. Und so schwankten wir schon vor zwölf zurück ins Appartement und wollten nur eben noch zehn Minuten auf der Couch ruhen, wachten dann aber um halb vier auf, um uns endgültig ins Bett zu verkrümeln. Als wir unsere Karre am nächsten Tag wiederfanden, waren die Scheiben eingeschlagen und der Laptop aus dem Kofferraum verschwunden.
Es gibt viele Orte, an denen sich Silvester lohnen mag. Paris gehört definitiv nicht dazu.
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