Bild: Alexandr Podgorchuk/Klops.ru (wikimedia commons)
Komisch finde ich, wenn ich in Gesellschaften gerate, mit denen ich sonst nur eine geringe Schnittmenge habe. Ich unterhalte mich zum Beispiel fast nie mit Fünfzehnjährigen, weil ich keine kenne. Der Job gibt es nicht her, das eigene Alter sowieso nicht und die Verwandten sind längst drüber weg. Ich hätte keine Chance zu wissen, was unter Schülern angesagt ist. Aber ich kann ihnen trotzdem nicht ausweichen, denn ich hab inzwischen rausgefunden, wo das ganze Jungvolk abhängt. Im Fitness-Studio. In den Siebzigern und Achtzigern hatten wir anderes zu tun, als uns um unsere Muskeln, Fett- und Eiweißwerte zu kümmern. Wir waren jung, stark und unbesiegbar. Feiern raubte uns jeglichen Raum für sportliche Betätigung und an Muskeln oder Körperfetten waren nur Sportler oder Mediziner interessiert und warum sollte sich das je ändern? Außerdem war es mir egal, was ich aß, Hauptsache es machte satt. Wer heute aber angesagt bleiben will, quält seinen Körper. Und zwar schon gleich als Schüler.
Sie drücken morgens die Schulbank und mittags die Hanteln. Kaum zu glauben. Um diese Zeit saßen wir mit einem Sixpack Bier im Park und taten das, worüber sie heute nur zu reden scheinen. Wir chillten. Wir rauchten uns erwachsen. Wir hörten Musik aus Kofferradios und Kassettenrekordern und vor allem redeten wir. Über die Schule, übers Erwachsenenwerden, über die Liebe, über die Musik. Und davon kriegten wir nie genug. Wenn ich mich im Sportstudio umziehe und höre den Dialogen zu, bin ich mir nicht sicher, ob sie diese Phase schon hinter sich haben. Es ist aber wohl eher so, dass sie da nie reinkommen. Das Umziehen wie in einer Zeitmaschine. Urplötzlich ist man unter lauter Schülern. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass die das wirklich freiwillig machen. Zuerst dachte ich an ausgelagerten Sportunterricht.
Neulich – ich war gerade dabei, mich umzuziehen – da merkte ich, wie sich hinter meinem Rücken Sonderbares tat. Erst achtete ich nicht drauf, weil ja immer mal einer reinkommt und ne neue Spindtür öffnet, Sportschuhe reinstellt oder Handtücher rausnimmt. Aber diesmal war es echt komisch, weil der junge Mann hinter mir sich mehrmals um die eigene Achse drehte. Erst in die eine, dann in die andere Richtung. Verschiedene Türklappen waren zu hören, die zufielen und dann wieder geöffnet werden, während die Gestalt hinter mir weiter Pirouetten drehte. Nun gut, dachte ich, irgendein Ding wird er schon an der Klatsche haben, aber da ist er nicht der Einzige. Erst recht nicht in dieser Stadt. Aber es wollte nicht aufhören, also drehte ich mich um. Da stand er, mit nacktem Oberkörper und machte die blödsinnigsten und lächerlichsten Posen, indem er mal den einen Oberarm, mal den anderen anspannte, dann den Brustkorb rausdrückte und sich dann langsam drehte, während er die Spindklappen als Stützen für seine Posen nutzte. Jetzt sah es erst recht nach "einen an der Klatsche" aus, aber dann entdeckte ich, dass sich entlang der Umkleidefächer auf der anderen Wandseite ein Spiegel befand, in dem er seine Muckis betrachtete. Immer wieder. Mal so, mal so und dann wieder anders rum. Okay, dachte ich, wenigstens macht er seinen Mund nicht auf.
Aber dann ist es wiederum so, dass sich die Jungs, insbesondere in Gruppen, über die gleichaltrigen Mädels unterhalten und man wünscht sich augenblicklich weit, weit weg. „Ey Digga, die Helen is voll die Bitsch ey, kaum im Zimmer, Alda, alte Schlampe, ich schwör, die lutschd schneller los als Mira“. Und ich schau den so an und denke: Haste Glück gehabt, Digga. Hättest sonst nicht viel zu erzählen. Vielleicht bleibt es auch das einzige, was du je erzählen wirst. Dank Helen, immerhin. Sie reden über ihren Sex wie über Trophäen, wie über Skalps an ihren Gürteln und es klingt so schrecklich unwirklich wie ein Dreigroschenroman auf Kanakisch. Je mehr sie erzählen, je öfter sie den Mund aufmachen und je mehr sie ihre Muskeln spielen lassen, desto übler wird mir beim Gedanken daran, dass die da morgen schon unsere Lehrer, Polizisten und Busfahrer sein sollen. Wir hätten solche Proleten nicht mal mit dem Arsch begrüßt und heute sind sie gesellschaftsfähig und nicht nur das, sie stellen auch noch die Mehrheit unter unserer Jugend. Und was noch viel schlimmer ist: Währenddessen machen sich Mira und Helen draußen an den Geräten noch dünner für diese Idioten und denken, das müsse jetzt so sein, weil ja alles was auf Youtube und Facebook "in-flu-enzt" wird, so sein muss.
Ist ganz gut, dass die Schnittmenge so klein ist. Da fällt mir das Wegducken leichter.
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