Mein Leben als Detektiv (2)

Bild: Pixabay – CCipeggy.

Es war kein guter Job, um sich Freunde zu machen. Es war auch sonst kein guter Job, aber welcher war das schon? Man lernte die Dinge von der anderen Seite des Spiegels kennen und das war es wert genug. Reich wurde man damit nicht, die Bezahlung war unter aller Sau. Außer für Cem, den Türken. Der verdiente hier im Kaufhaus ein Vermögen. Und er war die coolste Sau von uns allen. Er fing mindestens drei bis vier pro Tag. Wir nannten es immer „fangen“. Es gab dem ganzen eine sportliche Note. Ich „fing“ nie mehr als einen am Tag. Weil das auch die vorgesehene Quote war. Warum sollte ich auch? Die meisten, die ich fing, taten mir ohnehin leid. Entweder taten sie es, weil sie sich was Teures nicht leisten konnten oder weil sie Langeweile hatten. Auf jeden Fall waren sie arm dran. Wenn ich meinen Kandidaten gefangen hatte, ließ ich den Tag sausen. Ich schaute mir die Auslagen an oder sah den Schülern beim Klauen von Süßigkeiten zu, flirtete mit der Wurstfachverkäuferin oder schlich in den Pausenraum und schlief dort ’ne Runde.

Im Kaufhaus ging der Tag jedenfalls am schnellsten vorbei. Manchmal gab es eine Durchsage wie: „VierSiebzehn für Fünfundzwanzig.“ Oder „Neunzehn bitte Dreihundert“. Dann zog ich mein Notizheft vor und notierte das. Einfach nur so, damit ich was zu tun hatte. Ich bin nie dahinter gekommen, was es bedeutete. Manche Zahlen wiederholten sich, andere hörte ich zum ersten Mal. Ich beobachtete auch Cem, wie er die Diebe fing, aber ich konnte kein System feststellen. Es war wie reiner Zufall und er schien das meiste Glück zu haben, aber das konnte einfach nicht sein. Seine Quote war so weit von den anderen weg, es musste einfach ein System geben, dass ausgerechnet ihn zum Besten machte. Vielleicht lag es an seinem Wesen und die Kunden trauten ihm sowas Heimtückisches einfach nicht zu. Die Kunst war es, nie einen Augenkontakt zu suchen und wenn es doch passierte, dabei völlig harmlos und mit irgendwas beschäftigt zu wirken. Und das war einfach hart, wenn ich den ganzen Tag konsequent mit Nichtstun beschäftigt war.

Einmal sah ich einen älteren Mann, der sich in aller Ruhe ein Vorhängeschloss in der Werkzeugabteilung aussuchte. Er war klein, dünn und unrasiert, slawischer Typ, vielleicht Rumäne oder Jugoslawe. Solche Einschätzungen halfen beim Fangen, weil man die Typen oft wieder aus den Augen verlor, um es nicht allzu auffällig wirken zu lassen. Als er zum Kassenbereich kam, ging er einfach dran vorbei nach draußen. Er hatte also auch nichts anderes zur Tarnung gekauft, wie das die meisten Diebe machten. Dort sprach ich ihn an und wusste gar nicht, ob er das Schloss noch hatte. Er verstand kein einziges Wort von dem was ich sagte, jedenfalls tat er so. Ich deutete ihm den Weg zurück nach drinnen und er kam ohne Murren oder Zögern mit. Im Büro gab ich ihm Zeichen, er solle die Taschen leeren und da kam es wieder zum Vorschein, das Schloss. Ich nahm es und zeigte es ihm, aber er sagte wieder kein Wort. Er sah mich einfach nur an wie jemand, der keinerlei Ahnung hatte, was ich von ihm wollte. Ich griff zum Telefon und rief die 110 an, weil er auch auf keine Aufforderung reagierte, als ich den Ausweis sehen wollte.

Dann warteten wir eine halbe Ewigkeit in diesem kleinen Raum und als die Blauen kamen, die wir früher alle nur Grüne nannten, musste er alle Taschen leeren und auch die Schuhe ausziehen. Ein Ausweis kam dabei nicht zu Tage, aber tatsächlich hatte er in seinen Socken ein ordentliches Geldbündel versteckt. Es waren um die dreitausend Mark in Hundertern und die beiden Polizisten wurden ziemlich unwirsch, weil er einfach überhaupt nichts dazu sagte. Dann nahmen sie ihn mit und ich weiß nicht, was aus ihm wurde. Aber es war schon eine sehr seltsame Nummer.

Ein anderes Mal lief ich den ganzen Tag durch den Markt, Rolltreppe rauf und wieder runter, immer auf der Suche nach meinem täglichen Fang – aber es wollte mir einfach nichts gelingen. Die einzige Chance an einem miesen Tag wie diesem, waren Schüler. Kinder merkten einfach nie, dass es Detektive im Laden gab. Für sie waren nur die Angestellten zu vermeiden. Sie griffen sich Schokoriegel aus dem Regal an der Kasse und drehten dann wieder um in den Markt, um sie sich irgendwo in die Tasche zu stopfen oder um das klebrige Zeugs gleich im Kaufhaus zu verdrücken. Ich rief dann immer Cem hinzu, weil die Racker beim erwischt werden die Tendenz hatten, einfach abzuhauen. Dann kamen wir von links und von rechts und bis auf ein oder zwei Mal klappte es mit der Strategie. Was dann wirklich schwierig war, kam immer erst hinterher. Kaum hatte man einen oder zwei der kleinen Räuber wieder entlassen, kamen kurz danach die Eltern in den Markt. Außer „mein Kind würde das nie machen“, „das war der andere Junge“ und „wir werden sie wegen Verleumdung verklagen“, war das Originellste, „mein Kind wollte nur dem Obdachlosen vor der Tür was abgeben“.

Nein, Cem und wir anderen, wir hatten keine Freunde in dieser Stadt. Und es war klar, dass ich den Job nicht lange durchhalten würde. Aber es passierten manchmal auch richtig lustige Sachen. Eines Tages beobachtete ich eine betont gelangweilte Frau dabei, wie sie eine große Tasche mit entwickelten Bildern aus der Fotoabteilung in ihrer Tasche versenkte, ohne dafür an der Kasse zu zahlen. Also sagte ich wie immer „Entschuldigung, aber ich glaube…“ und schon rannte sie mit einem Affenzahn auf die Glastür am Eingang zu, schlug mit einem lauten Knall frontal auf der Glasscheibe auf und sich selbst damit kurzfristig k.o… Dann berappelte sich wieder, flitzte ohne die fallengelassenen Tasche auf die Straße – und weg war sie. Ich sammelte in aller Ruhe Käse, Lippenstift und drei Pfund Gehacktes auf und betrachtete mir dann den Umschlag mit den Bildern. Name und Adresse war fein säuberlich auf dem Umschlag notiert. Auf einem der Urlaubsbilder saß Gerda M. im Badeanzug auf der Hotelveranda auf Malle und gab sich Mühe, schick auszusehen. Auf einem anderen hatte sie jemand mit einer viel zu großen Sonnenbrille vorm Urlaubsflieger fotografiert. Sie warf dem Fotografen einen Kuss zu. Als sie zwanzig Minuten später reumütig zurückkehrte, gaben wir uns auch alle große Mühe, nicht nach schadenfrohen Besserwissern auszusehen, aber der Arsch von Marktleiter fing an, blöde Witze zu reißen, dass er bald Urlaub auf Malle machen muss. Ich hasste ihn dafür. Es war eindeutig der beschissenste Moment in ihrem Leben, aber er hatte seine helle Freude dran. Am Tag danach hatte ich im Drogeriemarkt Einsatz.
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Teil 3 folgt.
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