Bild: Karel Philips Spierincks – Venus Sleeping, with Satyrs and Cupids
Wir waren beide jung. Ich war gerade neunzehn und hatte von nichts eine Ahnung, aber hielt mich für unsterblich cool und wahrscheinlich war ich das auch. Marie war 18. Es war unsere erste Reise und Rom schien uns als Ziel angemessen. Sie hatte einen alten Käfer, der noch verdammt gut in Schuss war. Ich sah mir beide gerne an und liebte Maries Körper. In Hotpants sah sie unschlagbar aus und ich schaffte nie mehr als zwei Gläser Rotwein, bis ich über sie herfiel. Es war eine fantastische Zeit. Unser Campingplatz lag an einem malerischen See, weit außerhalb der Stadt. Abends schwammen wir im Dunkeln weit hinaus und liebten uns im Wasser. Tagsüber besuchten wir die Bauern rund um den See, die Selbstangebautes und guten Wein verkauften. Ab und an schauten wir uns die Göttinnen Roms an. Ansonsten lebten wir immer am Strand.
Wenn wir unterwegs waren, schleppten wir mit der Selbstverständlichkeit von zwei idiotischen Dilettanten Maries kleinen Rucksack mit und darin war alles, was wir hatten. Es schien uns sicherer. Wir schafften es tatsächlich, all unsere Papiere und all unser Geld jeden Tag aufs Neue mitzunehmen und teilten die verschiedenen Budgets auf die Taschen im Rucksack auf: Soundsoviel für den Stellplatz, soundsoviel für die Rückfahrt, hier was hin als Taschengeld und dort was rein für alles andere, die Pässe, Papiere, alle Schlüssel und 100 als Reserve unter den Reißverschluss. Wenn wir parkten, zog ich die Verteilerkappe von der Zündung, damit uns keiner den Käfer wegfuhr. Das hatte ich irgendwo gelesen. In der Abendsonne hatten wir es dann schon wieder vergessen und als ich die Karre nach einem zauberhaften Tag am Meer starten wollte, bewegte sie sich keinen Meter. „Scheiße“, fluchte ich, „jetzt lässt er uns doch noch im Stich“. Marie öffnete die Heckklappe des Motors und stellte die Tasche neben sich ab. Irgendwann kamen wir dann drauf, aber bis dahin waren meine Hände schwarz vom Pfriemeln und ich hielt sie Marie hin, die sie mir mit Wasser und Seife liebevoll abwusch. Wir sahen uns in die Augen und lachten über unsere Dummheit und es lag eine wunderschöne Spannung in diesem Moment, den ich mir wie ein Foto bis auf den heutigen Tag in aller Klarheit abgespeichert habe.
Wir stiegen ein, der Motor schnurrte wie eine Katze und wir ließen diese verdammte Tasche mit all unseren Wertsachen, mit all unserem Geld, mit allem was wir besaßen, wie etwas völlig Überflüssiges einfach so am Straßenrand stehen. Bis wir es merkten, waren wir schon fast am Zeltplatz. Gepackt von Entsetzen und Panik drehten wir um, aber natürlich war das Ding schon längst weg. Und da standen wir nun. Ohne Papiere. Ohne Geld. Ohne Plan. Und ohne Lust auf was Schönes. Ich entdeckte eine Wache der Guardia di Finanza, wusste aber nicht, dass die Italiener sich eine Militärpolizei leisten, die sich einen Scheißdreck um geklaute Taschen von Touristen kümmern. Es war das erste Mal, dass ich dem Lauf einer gezogenen Waffe gegenüber stand, dabei wollte ich nur fragen, wohin. Diese Italiener waren mir unheimlich. Einerseits hatten sie diesen leidenschaftlichen Ruf, andererseits jagten sie Touristen mit Uzzis aus ihren Büros.
Das Schlimmste an der Sache war, dass wir nicht mal mehr Geld zum Essen hatten und unsere Vorräte aufgebraucht waren. Unser ganzer Besitz bestand aus einem Viertel Tank voll Benzin und drei Duschmarken für die Campinganlage. Wir kehrten geschlagen zurück und am nächsten Morgen verfuhren wir auf dem Weg zur Botschaft unseren letzten Sprit. Müde und ausgehungert betraten wir wie zwei Zombies den Laden. Sie gewährten uns ein einziges Telefonat nach Hause und ich orderte per Postanweisung Geld nach. Außerdem sagten sie uns, wir sollen den Diebstahl der Polizei melden, was Marie für einen Witz hielt. Aber sie meinten es tatsächlich ernst und wir hatten sowieso nichts anderes zu tun, bis wir das Geld von der Post kriegten.
Der Flur des Polizeipostens war voll von Leuten wie uns. Alle vermissten sie ihre Kohle, ihre Papiere oder sonstwas. Der Carabinieri ließ uns ein siebenseitiges Formular ausfüllen. Als ich es zurückgab, prüfte er es und fragte mich, wann wir wo über die Grenze gefahren sind, wie unsere Eltern heißen, welchen Wagentyp wir haben und lauter so unnützes Zeugs. Ich bereute es, dass wir so naiv waren und hätte die Zeit genauso gut nutzen können, um auf der Straße nach Münzen zu betteln. Als er endlich zufrieden war und alle Durchschläge sauber vom Formular abtrennte und neben sich aufreihte, sah er Marie an und starrte sekundenlang auf ihre schönen Brüste. Sie gefielen ihm. Von nun an war ich auf alles gefasst. Dann wandte er sich zu mir hin und sprach mit der Gewissheit eines Showmasters: „Sie haben Glück. Fahren Sie nochmal raus nach Ostia und melden sich dort, die haben Ihre Tasche.“ Ich wusste nicht, was ich zuerst rauslassen sollte; die Freude über die gute Nachricht oder den Ärger, dass das Schwein uns die ganze Zeit absichtlich quälte, obwohl er schon wusste, dass der Rucksack noch existierte.
Wir kehrten also zurück zum Strand, fanden die Polizeiwache (in der Straße direkt neben der Militärpolizei mit den Uzzis) und sie gaben uns unseren Schatz zurück. Wer auch immer das Ding fand, hatte sich aus einer Ecke die ersten 100 rausgefischt und schmiss den Rest weg. „Ein Hoch auf unser System!“, rief ich aus. Er konnte nicht damit rechnen, dass da noch weitere Sechshundert drinsteckten. Irgendein anderer fand die Tasche im Müll, gab sie einfach ab und interessierte sich nicht mal dafür, was drin lag. Ein feiner, edler Mensch. Wir schoben ab, kauften den besten Rotwein, den wir fanden, suchten die nächste Imbissbude, räumten die halbe Pizza-Auslage ab und stopften uns gierig den leeren Bauch voll. Als nichts mehr reinpasste, pusteten wir durch, sahen uns lange an und lachten über unser Idiotenglück. Dabei reichten wir uns den Roten und nahmen abwechselnd einen tiefen Zug aus der Flasche. „Eine Runde im See wird uns erfrischen“, sagte sie.
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Gelesen am 17.11.18 Beim Salonabend