Job Nr 14

Bild: phillipkofler/pixabay

 

Es war einer der vielen schrägen Jobs, aber trotzdem bin ich gern hingegangen. Es gab da dieses Ergebnisblatt über den Dorffußball überall im Land und zu jedem der Spiele gab es einen kleinen Spielbericht, den irgendwer vom gastgebenden Verein beim Verlag ablieferte. Wenn ich sage irgendwer, dann trifft es das wie das Runde das Eckige. Wenn in der Kreisliga B also Dingslingen gegen Bumslingen spielte, stand da zum Beispiel: „In der ersten Halbzeit spielten die starken Dingslinger groß auf, erzielten aber nur einen 2:1 Halbzeitstand, aber Mitte der zweiten Halbzeit erlöste der Mittelstürmer Bodo Ballermann die Gastgeber und erzielte mit einem fantastischen Schuss aus 20 Metern das 3:1. Kurz vor Ende konnten die Bumslinger noch auf 2:3 verkürzen, aber es blieb beim verdienten Heimsieg“. So oder so ähnlich kamen die Spielberichte bei uns an und mein Job war es, wenigstens die gröbsten Fehler zu korrigieren und so den Dingslingern oder den Bumslingern den Spott zu ersparen, dass sie jemanden schreiben ließen, der in jedem Satz drei Fehler einbaute.

Amateurfußball auf dem Dorf funktioniert so, dass alles was zu tun ist, aber auch wirklich alles auf zwei oder drei Freiwillige verteilt ist, aus welchem Grund auch immer sie sich das antun. Und wenn Du montags oder dienstags Deinen Namen in der Zeitung lesen willst, dann muss eben einer von den drei Freiwilligen einen Spielbericht abliefern, ob er jetzt geradeaus schreiben kann oder nicht. Es ging um nichts anderes als Tore, Spielernoten, Spielernamen, rote und gelbe Karten, Elfmeter usw… und den Spielbericht, sofern derjenige, den sie dazu verdonnert hatten, auch was bei uns abgeliefert hatte. Die ganzen Kicker überall im Land fraßen sich nach dem Wochenende das Zeugs noch mal wie aufgewärmtes Essen rein. Wer für den Spielbericht verantwortlich war, schickte ihn im Anschluss ans Heimspiel an unsere Adresse und dem Himmel sei Dank war die Email schon erfunden. Ich wäre durchgedreht, wenn ich diese literarischen Highlights auch noch vom Fax hätte abtippen müssen.

Mein Job war es nun, die Spielberichte aus der Mail heraus zu kopieren, ins Layoutprogramm des Verlags zu setzen und ihn dann so zu bearbeiten, dass er halbwegs verständlich war. Das heißt, in den allermeisten Fällen ging ich auf die Suche nach Schreipfhelern und fehlenden Kommas, aber manchmal war das was da stand, überhaupt nicht nachvollziehbar. Also, da stand schon was in deutscher Sprache oder in dem, was die anderen dafür hielten – übersetzen mussten wir es also nicht. Aber man verstand oft überhaupt nicht, was erzählt werden sollte. „Die drückende Überlegenheit spielte uns hin und zurück in die Gästekarten“ und dann sitzt du da und denkst: Was genau möchte mir der Autor damit sagen? Wie forme ich daraus jetzt was Lesbares? „Der fitte Heimtrainer entschloss sich auszuwechseln“. Das war zwar ein Satz, aber ich fragte mich trotzdem, wer sich zu was entschloss, wer jetzt ausgewechselt wurde und vor allem, was ein Fitnessgerät auf dem Platz suchte.

Wir hatten auch keine weiteren Infos, sondern nur genau das, was uns geliefert wurde und wenn die Spielernamen falsch geschrieben oder das Ergebnis versehentlich umgedreht wurde oder der Ort des Geschehens plötzlich ganz woanders hin verlegt wurde, dann wurde es auch so gedruckt. Die stattliche Sammlung an Stilblüten wiederum, hätte für ein eigenes Wochenmagazin ausgereicht. So wären sie womöglich zu Ruhm, Ehre und Anerkennung gelangt, aber leider blieben sie nach meiner Bearbeitung für immer unentdeckt. Ein Satz wie „Der Platz war seifig, aber der SC Bumslingen spielte trotzdem über weite Strecken in Richtung unserer Duschräume“, ließ ausreichend Raum zur Interpretation und erforderte viel Fantasie, so dass ich meiner Kreativität gerne freien Lauf ließ. Schon bald galt ich als der Spezialist für alternative Fakten.

Immerhin passten mir die Arbeitszeiten sehr gut. Wir fingen am Sonntagabend gegen Neun an und verließen die Redaktion stets im Morgengrauen. Im großen und ganzen war der Aufwand immer gleich groß. Ich wusste, dass ich immer ein ordentlich geschnürtes Fehlerpaket über etwa acht bis zehn Stunden vor mir hatte und ich lernte schon bald anhand des Posteingangs, welche der E-Mails mir gleich besonders gut gefallen würden. Es gelang mir kein einziges Mal, nach vier oder fünf Stunden wieder zu gehen, wie sie es mir anfangs versprachen. Aber es gab ganz gutes Geld dafür, weil sie nach Stunden bezahlten und der Job war absolut krisensicher, weil es kein Konkurrenzprodukt gab.

Abends achtete ich darauf, nüchtern und ausgeruht in die Redaktionsnacht zu starten, weil man es anders einfach nicht schaffte, diese Menge an verwirrenden Buchstaben und Zahlen zu verarbeiten. Die Nacht über unterzog ich dann die Kaffeemaschine mehreren Stresstests, so dass ich es irgendwie durchhielt und direkt früh morgens nach dem ganzen Lesen und Ausbessern und Kommasetzen und neu Fabulieren ging die fertige Datei raus an die Druckerei. Wenn ich dann bei Tageslicht nach Hause kam und mir unten auf der Straße ansah, wie die anderen aus den Haustüren zu ihrer tagtäglichen Maloche hetzten, dann knackte ich noch ein oder zwei Bierdosen auf und freute mich über die Vorstellung, wie der Heimtrainer von Bumslingen erstaunt feststellt, dass ich dem Spielbericht meine ganz eigene Note verpasst hatte.

Die Ergebnisse und Spielberichte verkauften sich wie geschnitten Brot. Es war kaum zu glauben, über welche Acker- und Bolzspiele in den niedrigsten Spielklassen das Blatt berichtete und nach meiner Beobachtung konnte es für den Erfolg des Blatts gar keine andere Erklärung geben, als dass es eigentlich niemanden interessierte, außer denen, die es gespielt und dann aufgeschrieben hatten. Das war der Hauptgrund, warum das Blatt verkauft wurde. Vielleicht las der ein oder andere auch den Spielbericht des Tabellennachbarn oder wie der Erste gegen den Siebten gewann, aber hauptsächlich ging es darum, etwas über sich selbst zu lesen. Der Mittelstürmer kaufte sich das Blatt genauso wie der Trainer und der Betreuer und der Torwart und wahrscheinlich auch der Ersatzspieler, sofern er eingewechselt wurde.

Ich schätze, aus dem gleichen Grund gibt es diese Sucht nach Autobiographien. Jeder von uns scheint eine Sucht danach zu haben, etwas über sich selbst zu lesen. Da weiß ich, wovon ich rede. Aber weil es mühsam ist, den ganzen Krempel aufzuschreiben, bleibt uns das Gröbste erspart. Als Kind hatte ich mich immer gewundert, warum Opa diese ganzen Sterbeanzeigen las. Ich machte ständig Witze darüber, ob er schon wieder seinen eigenen Namen drin sucht. Er breitete immer die Tageszeitung auf dem Tisch aus, schlug zuallererst die Sterbeanzeigen auf und las sie dann ganz genau Anzeige für Anzeige und mindestens so lange, bis er irgendwen gefunden hatte, den er kannte. Oder wenigstens einen, den er vielleicht hätte kennen können, weil der Name so ähnlich war wie einer, den er kannte. An manchen Tagen fand er auch keinen, so sehr auch danach suchte, was ihn irgendwie zu enttäuschen schien. Jetzt wusste ich wenigstens, warum. Jeder Job ist zu irgendwas gut.

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