„Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über Parship“
Echt jetzt? Eine halbwegs gendergerechte, heterosexuelle (m/w) Analyse mit einem genaueren Blick auf die Profile. (Spoiler-Alert: Dieser Text ist NICHT geeignet für neu angemeldete Philanthropen (m/w) auf einer der gängigen Plattformen).
a) Der langweilige Klickfrosch (m/w)
Wenn ich keine Lust oder keine Zeit dazu habe, mir einen Partner zu suchen und ich sowieso ein notorischer Stubenhocker bin, dann schreibe ich dort nicht rein, dass ich eigentlich bloß zu faul bin, um mich draußen umzusehen. Natürlich bin ich dann ein umtriebiger, lustiger und aktiver Geselle, denn wer will schon einen Langweiler als Partner? Außerdem interessiere ich mich für grundsätzlich alles, weil ich ja will, dass die Schnittmenge eine möglichst große sei – obwohl mich eigentlich nur das Fernsehprogramm interessiert.
b) Der einsame Frustbolzen (m/w)
Eine langjährige Beziehung liegt hinter mir. Was auch immer der Grund dafür war, spielt jetzt keine Rolle. Jemand muss dringend her, um die Einsamkeit mit Leben, zumindest aber mit Anwesenheit zu füllen und ich erinnere mich plötzlich an das Bild, das ich vor zwanzig Jahren mal abgab, also stelle ich auch eins ein, das zwanzig Jahre alt ist. In meinem Profil geht es längst nicht mehr darum, wer ich heute bin – nämlich einfach nur ein einsamer Frustbolzen – als viel mehr darum, was ich mal war. Es war ja viele Jahre überhaupt nicht wichtig, ob ich Tschaikowski mag oder weiß, wer der fünfte Beatle war. Die angesagten Themen waren Blumenkohl und Zweitwagen. Also schreib‘ ich irgendwas von „ich bin sehr humorvoll und tanze gerne“, was aber getrost mit „Ich würde gerne mal wieder lachen und früher hab ich mal getanzt“ übersetzt werden darf.
c) Das Modell Reißleine (m/w)
Als geübter Single fällt mir plötzlich auf, dass die Luft dünner geworden ist. Es ist nichts klar zu machen, was zehn Jahre jünger ist. Zeit also, langsam an die Altersvorsorge zu denken. Beziehungspflege war jetzt nicht meine Hauptbeschäftigung und auch sonst fehlt mir so ziemlich alles, außer der Torschlusspanik. Also steht im Text das genaue Gegenteil von dem, was ich kann und bin. Man erkennt das Modell Reißleine an den Worten Treue, Durchhaltevermögen und Bodenständigkeit. Versprochen wird mindestens ein fliegender Teppich und obenauf ’ne Wunderlampe. Zehn verschiedene Kandidatenbilder sind auch zu sehen, damit man was zu rätseln hat.
d) Der frustrierte Endboss (m/w)
Ich schreibe immer und grundsätzlich, dass ich mit beiden Beinen im Leben stehe oder bei mir angekommen sei, was in diesem Fall nichts anderes heißt, als: Ich weiß, dass das Leben scheiße ist, also versuch‘ mich nicht vom Gegenteil zu überzeugen! Meist garniert mit der Floskel, dass ich eigentlich gar nicht suche. Und das sieht man dann auch. Irgendein verwackeltes Bild vom Mallestrand oder ein Selfie vorm Parkscheinautomaten, weil es ja eh keinen Sinn macht, sich hier anzubieten. Wenn der beschreibende Text vor irgendwas sprüht, dann vor Einfallslosigkeit und was auf gar keinen Fall darin fehlen darf, ist: „Ich suche nicht, ich lasse mich finden“. VON WEM DENN, BITTE SCHÖN?
e) Der notgeile Fälscher (m)
In männlichen Profilen trifft man oft auf die hohe Kunst, eine attraktive Schnittmenge dessen zu spiegeln, was Frauen angeblich suchen, nur um höhere Chancen zu haben, sie tatsächlich zu treffen. Dabei ist schon in der ersten Zuschrift klar, dass es sich nicht um jemanden handelt, der weiß, wo man Bücher kaufen kann. Hier zählt allein das Gesetz der großen Zahl. Wenn der notgeile Fälscher jeden Tag vierzig Frauen mit „Ey Schnecke, siehst süß aus, gib Nummer“ anschreibt, wird schon irgendwann eine dabei sein, die antwortet. Und das ist dann auch genau die Kandidatin, die der Typ verdient.
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Neben diesen Profilgruppen gibt es meiner Beobachtung nach noch „die intellektuelle Herausforderin“ (w), die aber auch nicht wirklich interessiert ist, sondern lieber fortwährend betont, dass ohnehin keiner gut genug für sie ist. Weiterhin trifft man öfter auf Mauerblümchen (w) und Nach-oben-Selfie-Guckerinnen (w), die sich das bei ihren Töchtern abgeschaut haben, nicht selten garniert mit Herzchen und Sternchen und künstlichem Glitzer in den Augen. Deren Profile bestehen dann aus nichts anderem mehr, außer sich ständig wiederholenden Selfies, vorzugsweise im eigenen Auto. Im Text steht: Nichts!
Bei all diesen Trollen (m/w) verbleibt dann ein kleiner, winziger Rest, mit drei aufeinander folgenden, sinnvollen und fehlerfreien Sätzen, unter denen was vorstellbar ist. Wenn wir jetzt noch akzeptable Bilder hinzu nehmen, bewegt sich diese verschwindend kleine, mit authentischem Profil wahrhaft attraktive Restgruppe, bei ungefähr zwei Prozent des Gesamtangebots. Ein Einhorn mit Märchenallergien ist wahrscheinlicher!
Nun zum eingangs erwähnten Vergleich zwischen schönem Schein und Selbstvermarktung. Die Menge der sich online (!) befindlichen Männlein zu Weiblein liegt bei mindestens 5:1, eher 7:1. Was bedeutet dieses Missverhältnis für beide Seiten? Bei den Männern entsteht das aus der Werbung bekannte Phänomen der Verknappung des Angebots. Ganz unabhängig von der eigenen Attraktivität entsteht ein permanenter Druck: Wenn ich DIE DA nicht anschreibe, obwohl die mir gar nicht so doll erscheint, dann kriege ich vielleicht gar keine ab. Also schreiben sie der Einfachheit halber alle an und zwar so seriell schlecht, dass es wiederum zu weniger Antworten führt und sich der ganze Kreislauf permanent wiederholt und beschleunigt. Frauen hingegen haben das Gefühl, dass das Angebot gegen nahezu unendlich geht und suchen sich „einen Wolf“ nach dem vermeintlich Perfekten, finden aber eine Flachpfeife nach der nächsten, weil die Kerle – auch nicht ganz doof – inzwischen auf die verknappte Ressource mit Bildern und Texten reagieren, die gefragt sind und weniger was mit dem zu tun haben, wer sie wirklich sind.
Und auf beide Gruppen trifft zu, dass die Bilder möglichst die schönste und glänzendste Seite zeigen und nicht den Moment, in dem man letzten Sommer nach durchzechter Nacht aus dem Zelt kroch, um den Kopf in eine lauwarme Teekanne zu stülpen. Wenn die Bilder aktuell sind, was sie bei den meisten Ü40ern eben nicht sind, dann bilden sie einen Menschen ab, der mit dem Original, sagen wir mal, nur rudimentär was gemein hat.
Kommen wir nun zum Klimax. Während uns die glänzende Werbung permanent garantierten Erfolg mit modellhaften Katalogmenschen verspricht, liegt der Erfolgsquotient aufgrund der oben genannten menschlichen Schwächen der Selbsteinschätzung bei ungefähr größer/gleich Null. Aber gehen wir – nur spaßeshalber – mal davon aus, dass es zu einer viel versprechenden Begegnung kommt. Überzeugt mich das, was der andere von sich erzählt? Interessiert er sich wirklich für mich? Könnte nicht noch was Besseres drunter sein? Hatte ich nicht für ein ganzes Jahr bezahlt? Was verpasse ich, wenn ich jetzt Ja sage?
Die Wahrheit übers Online Dating ist: VERGISS ES! Von seinem Traumpartner nachts um halb Vier auf menschenleerer Straße überfahren zu werden, ist weitaus wahrscheinlicher, als ihn online zu finden. Bis neulich!
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Na manchmal, sicher selten, läuft es völlig überraschender Weise doch anders 😉
Sehr zynisch….
Du hast den Nagel aber auf den Kopf getroffen