Grün ist die Hoffnung

Es war kurz vor Weihnachten, überall lag hoher Schnee in den Straßen. Ich war gerade dabei, ein unsterbliches Gedicht zu schreiben, als das Telefon klingelte. Melinda war dran.

Ich hatte sie im Sommer während einer Fortbildung kennengelernt. Sie war nicht besonders hübsch und an allem seltsam unbeteiligt. Ihre Haut war etwas zu blass und sie versteckte ihren etwas zu flachen Hintern und ihren etwas zu kleinen Busen so gut es ging. Mir war es immer schon ein Rätsel, wie es manche Frauen fertigbringen, ihre Kurven komplett zu verhüllen. Als ob sie dadurch attraktiver würden! Melinda redete nicht viel. Wenn sie mal was sagte, dann nur, was ohnehin jeder wusste. Ich sah sie nie mit anderen, sie war kaum am Unterricht beteiligt und gab nie irgendwas von sich preis. Kurzum, ihre größte Attraktion war ihr geheimnisvolles Schweigen. Alles an ihr drückte aus: Ich will nicht auffallen, also beachte mich auch nicht. Umso mehr war ich überrascht, als sie anrief. „Ich feiere meinen Geburtstag und dachte, Du willst vielleicht vorbei kommen“, sagte sie. „Klar, ich bin um Acht bei Dir“ sagte ich und legte den Hörer auf. Dann stellte ich mich unter die Dusche, zog mir ein frisches Hemd an, nahm eine gute Flasche Rotwein aus dem Regal, ließ das Rasierwasser wabern und machte mich auf den Weg.

Die Einladung war so unerwartet seltsam, wie unsere letzte Begegnung – damals nach der Schule in ihrer WG. Es ging um ein Hochbett, das sie sich bauen wollte. Aus irgendeinem Grund glaubte sie, ich sei für den Job geeignet, obwohl ich mich nie als großen Handwerker ausgab. In der Ecke ihres Zimmers lag eine Matratze auf dem Boden. Die weiße Bettwäsche war mit allerlei roten Herzchen übersät. Auf dem Kopfkissen stand „I love you“. Sie verschwand in der Küche und kam mit zwei Gläsern Wasser und ohne ihre Bluse zurück. Sie stand in einem dünnen, weißen Unterhemd da, drückte mir ein Glas Wasser in die Hand, zeigte mir die Ecke mit der Matratze und fragte: „Was hälst du davon?“

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Monate lang erhielt ich von der durchschnittlichsten Frau der Welt nichts außer einem gelegentlich gelangweilten Blick und jetzt stand sie im Unterhemd vor mir, nichts darunter. Ihre Brüste zeichneten sich deutlich unter ihrem Hemd ab. Vielleicht wartete sie drauf, dass ich sie jetzt überfalle, vielleicht war das ihre Art, Kerle zu verführen, vielleicht war sie aber auch einfach nur naiv. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, aber konnte meinen Blick nicht von ihren Dingern lassen. „Könnte gehen“, sagte ich. „Du brauchst ein paar Riesenschrauben und kräftige Dübel“. „Hast du eine gute Bohrmaschine?“, fragte sie. „Ich hab die verdammt beste Bohrmaschine der Welt“, sagte ich.

Wenn ich sie jetzt packen und nehmen würde, schoss es mir durch den Kopf, würde ich vielleicht morgen schon als Vergewaltiger angeklagt. „Wollen wir ausprobieren, ob es passt?“, fragte sie. So ging das noch eine Weile hin und her, aber alles war genau so wenig eindeutig, wie sie selbst. Also maßen wir das Zimmer aus, schrieben das Material auf einem Zettel zusammen, ich trank aus, verschwand wieder und trug ihr Bild in mir wochenlang rum.

Jetzt also Geburtstag, dachte ich. Okay. Auf dem Weg zu ihr stellte ich mir die Bettwäsche mit den Herzchen vor und wie ich darin versank, aber überraschender Weise war die WG voller Leute, die ich nicht kannte. Sie sagte beiläufig Hallo und wies mich an, den Wein zu den anderen auf den Küchentisch zu stellen. Ich begutachtete die anderen Flaschen. Billiger Stoff vom Discounter. Ich schob meinen 79er Medoc sicherheitshalber ganz nach hinten und ärgerte mich. Alles hier war genau so durchschnittlich, wie sie es war. Dass sie heute noch ihre sackartigen Klamotten ablegte und ihre Knospen sehen ließ, war nicht zu erwarten. Ich kam überhaupt nicht mehr runter. Was mich am meisten kratzte, war meine eigene Fehleinschätzung und dass ich einen kurzen Moment, in dem ich nichts weiter als weißen Baumwollstoff und zwei bescheidene Kurven wahrnahm, unbedingt wiederholen wollte. Idiot! – machte ich mich selbst fertig. Zwei langweilige Stunden später war ich wieder im knöcheltiefen Schnee. Völlig umsonst hier gewesen, fluchte ich ins Stockdunkel um mich rum. In zwei Tagen war Heiligabend und ich würde mit meinem guten, roten 79er alleine sein.

Irgendwas musste einfach noch geschehen. Gegenüber schimmerte ein Licht aus dem Verkaufswagen vom Tannenbaumhändler. Ich stapfte rüber und konnte seinen Fernseher aus dem Bauwagen hören. Dann schob ich den Zaun beiseite und griff mir den ersten ordentlichen Baum, zog ihn raus und zerrte ihn durch den Schnee hinter mir her, den ganzen Weg durchs Viertel zurück. Zuhause stellte ich das Teil in die Zimmerecke und freute mich am satten, duftenden Grün. „Na also“, dachte ich. „Geht doch“. Ich öffnete das Fenster und prüfte, ob jemand der Spur gefolgt war. Nichts zu sehen. Gegenüber war die Eckkneipe noch offen. Zum Weiterschreiben des Gedichts war es jetzt eh zu spät.

 

 

 

 

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