Gestern kurz vor Sieben

Bild: Pixabay/Alex

 

Es waren insgesamt siebzehn Menschen aus drei oder vier Familien, alles Rumänen. Wir kassierten die Ausweise ein und versuchten ihnen in Englisch klar zu machen, dass wir ihren gesamten, faktisch wertlosen Besitz jetzt einkassieren und den Platz räumen. Insgesamt standen wir mit fünf oder sechs Cleanern und genauso vielen Polizisten unter der Brücke und sahen ihnen beim Packen zu. Sie nahmen es relativ gelassen und wussten, dass sie gehen mussten. Wir sahen es relativ gelassen und wussten, dass sie morgen wieder da sind. Vielleicht würden sie ihr Lager auch um die Ecke aufbauen, aber sie würden definitiv nicht einfach verschwinden und das Problem wäre damit gelöst.

Zelte, Matratzen, Schlafsäcke, riesige Tragetaschen voller Pfandflaschen, uralten Klamotten, zu irgendwas Brauchbares für das Leben auf der Straße. Es blieben ihnen knappe dreißig Minuten, um alles zusammen zu raffen, was sie tragen konnten und von hier zu verschwinden. Irgendjemand hatte immer wieder Beschwerdemails an uns geschrieben, dass es hier ein „illegales“ Lager gab. Es war unser Job, genau das umzusetzen, was in den Gesetzen stand. Diese Rumänen wussten es, wir wussten es, der Mailschreiber wusste es. Wer in öffentlichen Parkanlagen oder im öffentlichen Straßenland campiert, begeht eine Ordnungswidrigkeit, wird des Platzes verwiesen und kassiert eine Anzeige. So hatten sie uns das beigebracht. Deswegen schrieben wir ihre Daten auf, machten Fotos für den Bericht und warteten, bis sie verschwunden waren. Anschließend kamen die Cleaner mit ihren Wasserschläuchen und Besen, schmissen den restlichen Scheiß auf den LKW, wir machten Fotos vom Geräumten und der Job war erledigt. Irgendwer würde uns schon morgen wieder Mails schreiben. Ich hasste diesen Unsinn.

Wenigstens hatten die Familien sich selbst, dachte ich, als wir zur nächsten Adresse fuhren. Es war ein Typ mit einem Zelt, der sich einen geschickten Platz ausgesucht hatte. Trotzdem hatte ihn einer gesehen und wir fanden ihn anhand der Beschreibung auf dem Auftrag. Er war erstaunlich gut ausgerüstet, hatte jede Menge gut Brauchbares da drin, sogar einen Rasierapparat, mit dem er sich gerade bearbeitete, als wir auftauchten. Wir notierten uns seine Daten, ließen unser Geschwätz vom Stapel und sagten ihm, dass er von hier verschwinden muss. „Wohin?“, fragte er. „Von hier weg“, sagte ich.

Dann fuhren wir zu einer Obdachlosen, die vom Leben auf der Straße schon längst einen an der Klatsche hatte. Das hatten sie nach einer Zeitlang sowieso alle und ich konnte es gut verstehen. Manchmal war ich mir auch nicht sicher, ob nicht wir es waren, die einen an der Klatsche hatten. Und wir sie bloß nicht verstanden. Wir erklärten ihr, wozu wir hier waren und schon nahm ich wieder diesen typischen Gestank wahr, der aus ihrem Lager strömte. Diese Menschen wussten einfach nicht mehr, wie sehr sie nach dem Dreck auf ihrer Haut und in ihren Klamotten stanken und es war auch ihr geringstes Problem. Wir hatten eines damit. Und derjenige, der uns informierte. Sie hatte einen Einkaufswagen neben sich, in dem sie ihren ganzen Besitz von einer Ecke zur nächsten schob und sie schaute uns während der Ansprache die ganze Zeit wortlos an. Als wir mit unserer großen Rede fertig waren, sagte sie: „Na gut, dann gehe ich jetzt nach Istanbul“ und packte ihren Krempel. Wir konnten nicht mal drüber lachen.

Dann war es eine bulgarische Familie, die unter einem Dach auf dem Spielplatz einen Platz zum Pennen gefunden hatten. Sie waren gerade dabei, sich einen Topf mit Suppe auf dem Gaskocher aufzuwärmen. Wir kassierten ihre Ausweise und sagten unseren Salm an. Von allen fünf verstand uns nur der Zwölfjährige und sagte es dann seinen Eltern und seinen drei Geschwistern an. Der Vater, der kein Wort deutsch verstand, sah seinen Sohn verstört an, bat uns Platz zu nehmen und bot uns was von der Suppe an. Ich wünschte mir sehr, dass es der letzte Auftrag für heute war. Aber es kam noch schlimmer.

Er lag in einem Steinhäuschen im Park und brauchte eine satte Stunde, um sich zu sortieren, fluchte dabei wie ein Irrer auf uns ein und behauptete, wir seien ja gar nicht die, die wir vorgaben zu sein. Nach einer Zeit war ich mir selbst nicht mehr sicher. Seine nackten Füße sahen aus, wie zwei rotgefärbte Klumpen voller Ekzeme. Ab und zu kam einer der Polizisten rüber und schrie ihn an, weil es ihm zu lange dauerte – aber das machte es noch schlimmer. Er räumte tatsächlich jeden einzelnen mal essbar gewesenen Krümel in Zeitlupe zusammen und schimpfte dabei auf uns ein. Der riesige Berg voller verschimmelter und unbrauchbar gewordener Lebensmittel wanderte in Tüten, Taschen und Einkaufswagen, während wir ihm dabei zusahen. Als er endlich alles zusammen hatte, schob er mit dem ganzen Müll um seinen Kothaufen herum, setzte sich eine Bank weiter und wartete darauf, dass wir wieder verschwanden.

Kurz vor Feierabend fanden wir noch einen im Gebüsch, keine zehn Meter vom tosenden Lärm der Fahrbahn entfernt. Außer dem Schlafsack hatte er schon lange nichts mehr. Er hatte nicht mal irgendwelche Papiere dabei. Es hätte ein Afghane, aber auch genau so gut ein Albaner sein können. Es spielte auch keine Rolle und es machte auch keinen Sinn, ihm was zu erzählen. Wir schrieben irgendeinen Namen auf, den wir uns mehr ausgedacht, als festgestellt hatten und wiesen ihm den Weg über die Bezirksgrenze. Er brauchte nur dreihundert Meter weiter zu ziehen, damit wir nicht mehr für ihn zuständig waren. Aber er verstand nicht, was wir von ihm wollten, sah uns ratlos an und in seinen Augen war ohnehin nichts mehr, außer purer Verzweiflung. Weiter unten wie der da konnte man gar nicht mehr sein. Er stank wie ein Müllhaufen. Wir zeigten in die Richtung der Straße, die er überqueren sollte. Nur dreihundert Meter. „Setz dich in Bewegung“, dachte ich und sah ihm dabei so entschlossen es ging, in die Augen. „Mach es einfach“, dachte ich – und sah ihn dabei weiter an. Er schaute mich noch länger verzweifelt an, aber dann drehte er sich endlich um und schlich in Richtung der Grenze. Ich sah ihm nach, wie er seinen Schlafsack über die Straße hinter sich her zog. Morgen würden ihn die Kollegen von drüben wieder hierher schicken.

 

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Ich bin fassungslos und verstört. Ich mag Obdachlose auch nicht und denke, es ist sicher auch selbstverschuldet. Familien zu vertreiben, ihnen keine Hilfe anzubieten, dass entsetzt mich und macht mich traurig. Wir sind so ein reiches Land, muss das wirklich sein.
    Wie lange kanfst du dieser Aufgabe nachgehen. Ich kann verstehen, dass du ab und an denkst „stehe ich auf der richtigen Seite „

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