Fürchtet Euch!!

Schlabotter! Da fährt sie mir weg, die U5. Hab ich doch erst kürzlich gelernt: Berliner bist Du erst dann, wenn Du nicht anfängst zu rennen, nur weil die Bahn grad am Gleis steht. Oder war es umgekehrt? Egal, nu isse weg. Was mach ich denn jetzt die nächsten 4 Minuten? Ich schlendere am Bahnsteig entlang bis zum Kiosk. In der Auslage liegen mehrere Tageszeitungen. Lese die Schlagzeilen. Die Morgenpost titelt: Berlin ist die kriminelle Hauptstadt Europas. Das interessiert mich. 16.000 Straftaten im Jahr pro 100.000 Einwohner! Meine Fresse. Jeder Sechste hat hier was uff’m Kerbholz. Ich schaue mich um und zähle die Verdächtigen. Insgesamt 14. Zwei von denen sind also kriminell. Verdammt. Frage den Kioskbesitzer, ob er Waffen zur Selbstverteidigung hat. Er bietet mir eine Rolle Weingummi als Wurfgeschoss an, aber das überzeugt mich nicht. Ich wähle ein Fußpils. Muss es vorher leider noch austrinken, schade. Argwöhnisch betrachte ich die Umstehenden, während ich das Bier exe. Die Bahn fährt ein. Ich muss rülpsen. Das lenkt mich einen Moment ab.

Glück gehabt. Nix passiert. Aus der Bahn fällt mir ein Flaschensammler entgegen und hält mir seine Tasche hin. Reflexartig lasse ich die Pulle reinfallen und schon bin ich wieder völlig wehrlos. Läuft. Auf jeden Fall ist hier drin jede Menge mehr an kriminellem Volk drin, die Bahn ist brechend voll. Wo krieg ich jetzt ein frisches Bier her? Warum gibt’s noch keine mobilen Spätis? Die Alte mit dem Hund, die mit mir einsteigt, sieht übelst grimmig aus. Rollator zur Tarnung – Respekt. Dann steht jemand auf und bietet ihr seinen Platz an. Vorsicht, denke ich, die Szene sehen wir nächste Woche bei Aktenzeichen XY. Die beiden Russen neben mir sind garantiert Profis. Allein die Sprache verrät es mir. Wer so redet, der frisst auch Heizkörper und kleine Kinder. Hecken wahrscheinlich gerade was aus. Vielleicht kann ich sie über das Smartphone belauschen und Google übersetzt es mir. Das wär’s doch! Gefahrensucher! Die Gefahr suchen und sofort verpfeifen, wenn sie zuschlagen!

Jetzt soll aber mal langsam mal was passieren. Steht doch auch ständig im Berliner Kurier. Muss ja stimmen. Nix. Die Russen steigen völlig ohne nachweisbares Verbrechen aus. Grüßen sogar noch. Unverschämt. Dann an der Endhalte ist es endlich soweit. Die Rolltreppe ist hin. Jetzt bloß noch drauf achten, wer wen auf der Treppe beklaut. Keiner – sehr enttäuschend. Beschließe dann, meine Strategie zu ändern und stelle mich ganz nah ans Gleis, damit ich jemanden dabei erwischen kann, wie er mich runterschubst. Kommt aber keiner. Stimmt ja, ist Endstation. Frustriert gebe ich zuhause dem Rechner was zum suchen. Na endlich – Fürchtet Euch! Bleibt zuhause! Schließt Euch ein! Da steht es schwarz auf weiß: „Berlin ist eine beliebte Touristenmetropole und Taschendiebe sind dort, wo sich viele Menschen treffen – in Partykiezen, bei Veranstaltungen und in Bahnhöfen, auf deren Rolltreppen die Täter es leicht haben.“

Siehste, war ich doch schon auf der richtigen Spur. Allerdings lief die Rolltreppe nicht, daran wird’s gelegen haben. Denke darüber nach. Ob Taschendiebe in anderen Städten dort sind, wo gar nix los ist? Schön blöd. Nur in Berlin haben sie es drauf. Gehen da hin, wo der Bär steppt und Zack, wieder was geklaut. Aber wieso passiert das nie, wenn ich extra aufpasse? Da muss ich mal nachrechnen: Seit fünfzehn Jahren Berliner, ich sehe jeden Tag unterwegs 1000 Leute, macht mindestens drei Millionen – und kein einziges Verbrechen gesehen, egal an welchem Tag, zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Aber warum schreiben die das dann? Kann es sein, dass sich das einfach nur gut verkauft? Oder dass jemand will, dass es so aussieht? Obwohl, neulich hab ich gesehen, wie jemand versucht hat, ein Rad zu klauen. Hat es dann aber doch stehen lassen, weil’s platt war. Siehste. Ist doch ganz schön was los hier. Rein statistisch muss es irgendwo einen geben, der am Tag vierzehn Mal überfallen wird. Den müsste ich finden, der könnte Euch was erzählen…
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