Aus der Serie „101 paranoide Polizeikontrollen“
Teil 1: Mon dieu!
Teil 2: Hit the road, Buchhalter (8)
Bild: Pixabay
„Nur noch EINE Runde Rapido zum Abschied, los“… sagte irgendwer, ich erinnere mich nicht mehr wer. Es war morgens um Drei und wir waren noch zu fünft oder sechst nach einer langen und durchzechten Nacht, obwohl ich mich sehr zurück gehalten hatte. Ich hatte nicht mehr als fünf oder sechs Bier die ganze Nacht über, also konnte ich noch fahren, keine Frage. Ich war es gewohnt, einer der Letzten zu sein. Ich war es gewohnt, die Übrigen nach Hause zu fahren und ich war es gewohnt, dabei grundsätzlich nie nüchtern zu sein. Immer wenn es soweit war, dachte ich daran, was für ein wahnsinniges Glück ich damit hatte und ließ all die Szenen paranoider Polizeikontrollen an mir vorüber ziehen. Paranoid vor allem deshalb, weil ich jedes Mal davon überzeugt war, „jetzt kriegen sie dich! Jetzt ist es soweit und du musst für deine Sünden bezahlen, du oller Säufer“.
Ich trank gerne und ich konnte einfach nicht den ganzen Abend über nüchtern bleiben, vor allem dann nicht, wenn all die anderen um mich herum am bechern waren. Ich soff nicht wirklich, sagte ich mir, aber ich forderte das Glück gern heraus und ich war es gewohnt, zu gewinnen. Wie damals in Amsterdam, als ich nach einer guten Flasche Bordeaux auf dem Weg zum Hostel war und die Holländer eine ganze Batterie von Alkoholkontrolleuren auf die Straße stellten. „There are only two results“, sagte der Polizist zu mir und hielt mir das Gerät mit dem Röhrchen vor die Nase. „If the light glows green, everythings fine. If it glows red, your ride is over“. Ich war davon überzeugt, dass es over war und malte mir aus, was mich das kleine rote Leuchten gleich kosten würde. Schließlich saß ich in einem fetten Mietwagen und das würde es nochmal sehr viel teurer machen. Aber als er auf das Lämpchen wartete, starrte er auf das Ding, als ob er es selbst nicht glauben wollte. „Everything is fine“, sagte er mit einem ungläubigen Lächeln – und tatsächlich fühlte ich mich auch schlagartig nüchtern vor Schreck und wir fuhren unbehelligt weiter.
Oder diese Aktion damals, als ich einem anderen aus der Klemme half. Ich war gerade auf dem Rückweg irgendeiner Party und feierte mich laut Beastie Boys mitsingend selbst, nachdem ich alle anderen sicher nach Hause gebracht hatte. Da sah ich auf dem Standstreifen unserer Stadtautobahn einen Wagen mit Warnblinker und dachte spontan, „hälst mal an“. Vielleicht konnte ich was für ihn tun. Der Arme stand da völlig verzweifelt mitten in der Nacht neben seiner Karre und rief wie in einer Endlosschleife „Sprit ist alle, verdammt, Sprit ist alle, verdammt, Sprit ist alle“. Obwohl ich selbst einiges intus hatte, konnte ich seine Fahne riechen und dachte mir „Hui, dem Mann muss geholfen werden, bevor er dran glauben muss“. Ich reagierte schnell, jedenfalls viel schneller als ich es heute noch glauben kann, schloss den Kofferraum auf und zog den Kanister raus, in dem erstaunlicher Weise auch noch was drin war und stärkte damit mein Karma für kommende Heldentaten. Ich traf nie mehr wieder jemanden, der so dankbar und erleichtert über meine Hilfe war.
Ein anderes Mal, da war ich erst 18 und auf dem Nachhauseweg, nachdem ich frustriert mehrere Biere in einer Diskothek in mich laufen ließ, weil sich kein Weib für mich interessierte. Und kurz bevor ich zuhause ankam – es ist in einer kleinen Stadt immer kurz bevor man zuhause ist – sah ich die blauen Lichter im Rückspiegel und dachte, „oh nein, was jetzt?“. Ich fuhr rechts ran, stieg aus, damit sie sehen können, dass ich noch geradeaus gehen kann und musste nach einigem Hin und Her doch in das Röhrchen pusten, aber auch da sagte der Grüne erstaunt: „Es zeigt gar nichts an“. Und weil er es nicht glauben konnte, wiederholte er das Ganze nochmal. „Es zeigt gar nichts an“. Und zeigte seinem Kollegen gleich auch noch mal, dass es gar nichts anzeigt.
Und die beste Nummer von allen war die Nacht, als auf der Autobahn hinter mir die blauen Lichter aufleuchteten und mich der Polizeiwagen überholte, um mich aus dem Verkehr zu winken. „Was zur Hölle“, dachte ich, „hat sie DAS merken lassen“? Ich war wie immer sofort draußen und lief nach vorn und als der Typ ausstieg und grüßte, sagte er mir, dass meine Rücklichter nicht funktionierten. Ich schaute mir gemeinsam mit ihm meine Badewanne von hinten an und tatsächlich – keinerlei Lichter. „Potzblitz“, rief ich aus, „so ist es“. Er schöpfte keinerlei Verdacht, fragte mich nach dem Sicherungskasten und ich pfriemelte ihm eine Sicherung nach der anderen raus, während er sie einzeln prüfte und der Autobahnverkehr an uns vorbei rauschte. Alle schienen sie intakt und wir konnten den Fehler nicht finden. Dann fragte er, wohin ich will und ich sagte ihm wo ich wohnte und dass ich kurz vor zuhause war. Er schlug vor, dass ich jetzt am besten nach Hause fahre, was gut war, weil ich da ohnehin ins Bett wollte und sie hinter mir fahren, damit mir keiner in die Karre rauscht. Das fand ich ausgesprochen nett und ich bedankte mich, fuhr los und freute mich über den Service, dass die Beamten einen trunkenen Fahrer begleiteten.
Jedenfalls dachte ich an genau solche Szenen, von denen ich noch vier, fünf mehr erzählen könnte, als jemand diese letzte Runde Wodka-Rapido ausrief. Es war ein Teufelszeug. Man goss dazu jeweils die Hälfte Wodka und Sekt in ein Glas, deckte es mit einem Bierdeckel oder ähnlichem ab, stampfte das Glas nach einem bestimmten Trinkspruch mit Karacho auf dem Tisch auf und ließ den kühlen Schaum in einem Zug durch die Kehle rinnen. Es war lecker. Aber weil der Wodka in dem Sekt unterging, merkte man die Wirkung nicht sofort. Es war die dritte und letzte Runde und als ich meinen Kadett aufschloss, war ich rund, ließ mir aber nichts anmerken, um die anderen nicht zu verunsichern. Ich lenkte die Badewanne routiniert, ruhig und souverän durch die Innenstadt und kurz bevor wir zuhause waren, flammten diese wohlbekannten blauen Lichter hinter uns auf und erfüllten die ganze Nacht um uns herum mit ihrem Geblinke aus.
Ich griff mir Führerschein und Fahrzeugpapiere, stieg aus und war schon an der Tür unserer Verfolger, als diese Polizistin ausstieg. „Wissen Sie, warum wir Sie angehalten haben?“ fragte sie. „Sind meine Rücklichter okay?“ fragte ich zurück. „Sie sind zu langsam gefahren“, sagte sie. „Ich bin zu langsam gefahren?? Das ist eine Tempo 30 Zone“, sagte ich. „Ja“, sagte sie. „Aber das ist wegen der Schule und es ist jetzt halb Vier in der Nacht.“ Ich konnte es nicht fassen und begann eine Diskussion darüber, dass die Schilder ja wohl auch nachts gelten. Ich wunderte mich, dass ausgerechnet die Polizei von mir erwartete, dass ich schneller fuhr als erlaubt, aber gerade als ich so richtig in Fahrt kam, wurde mir meine Lage wieder bewusst und ich ließ sie dann doch in Ruhe die Papiere checken. „Wie weit haben Sie es noch?“, fragte sie und da spürte ich es wieder auf mich zukommen, mein Idiotenglück.
„Es ist da vorne“, zeigte ich in die Richtung, „keine fünfhundert Meter hinter der Brücke rechts ab“. „Haben Sie was getrunken? Sie riechen nach Alkohol“, sagte sie. „Selbstverständlich“, sagte ich. „Es ist halb vier morgens und ich bringe die anderen hier nach Hause, weil sie alle zu betrunken zum Fahren sind“. Aber sie ließ nicht locker. „Wie viel haben Sie selbst intus?“, wollte sie wissen. „So drei bis vier Bier in den letzten acht Stunden“, sagte ich fast wahrheitsgemäß, rechnete aber gewohnt souverän alles vor Mitternacht weg und ließ vor allem die Wodka Rapidos aus dem Spiel. „Ich meine, das kontrollieren wir doch lieber mal“, sagte sie und kramte nach dem Alkoholtester. Mir wurde mulmig. Sollte es dieses Mal wirklich soweit sein? Konnte sich dieses Karma wirklich gegen mich wenden? „Aber es sind wirklich nur noch 500 Meter“, rief ich – und wusste genau im gleichen Moment, dass das ein schrecklich dummer Fehler war. Jedenfalls ließ sie nicht locker, während ihr Kollege die ganze Zeit über gelangweilt neben ihr stand und als ich ihn ansah, hob er entschuldigend die Augenbrauen und zuckte mit den Achseln. „Mit dem wäre ich fertig geworden“, ärgerte ich mich, während ich den Tester mit meinem alkoholschwangeren Atem füllte. Endlose Sekunden vergingen. „EINS-KOMMA-VIER“, rief sie triumphierend aus. „Na, dann ist die Fahrt wohl hier zu Ende“.
Bis ich auf der Wache ankam und irgendwann endlich einer erschien, der mir verschlafen Blut abzapfte, waren die Rapidos vollständig angekommen, wo sie hingehörten. Es war halb Fünf und das Ergebnis lag bei EINS-KOMMA-ACHT. „Das war’s also“, dachte ich. Aber ich war nicht wirklich deprimiert, weil ich einfach wusste, dass es früher oder später so kommen würde. Ich hatte das Glück zu oft strapaziert, als dass es ewig so gut gehen konnte. Und keinen Führerschein mehr zu haben, bedeutete ja auch nicht, kein Auto mehr zu fahren. Aber das ist eine andere Geschichte. Später, als ich den Führerschein nach Monaten wieder abholte, nachdem ich mich mit einem völlig unsinnigen Test und einigen hirnrissigen Fragen herumschlug, sagte mir der Beamte, dass es mich besonders hart im Strafmaß getroffen hatte. Die Polizistin hatte wohl einen sehr genauen Bericht geschrieben und darin geschildert, dass ich sie noch mit EINS-KOMMA-ACHT in eine Grundsatzdiskussion über die allgemein ausgehende Gefährdung des zu langsamen Fahrens gezwungen hatte. Und offensichtlich fand sie meine Argumente ganz gut.
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