Von allen Filmen, die ich über Science-Fiction, fantastische Ideen und verworrener Mystery-Sachen mal gesehen habe, ist die Zeitmaschine etwas, was mich fortwährend fasziniert. Manchmal stelle ich mir vor, wie wir wohl alle in hundert oder zweihundert Jahren miteinander umgehen, aber das setzt natürlich voraus, dass wir weder unsere Lebensgrundlage, noch uns selbst vernichten – was nicht sehr wahrscheinlich ist. Ich denke gern drüber nach. Und ich stelle mir auch gerne vor, dass es Mutter Erde und uns selbst noch geben möge in einer Zukunft, mehrere hundert Jahre entfernt vom Anfang des 21. Jahrhunderts. Den Menschen im Mittelalter gelang das ganz gut, wie Da Vinci es uns nachgewiesen hat. Der gute alte Leonardo zeichnete Hubschrauber, Autos und Bauwerke, fünfhundert Jahre bevor sie überhaupt entstanden! Selbst seine Vorstellungen zur Ernährungswissenschaft, nämlich auf Fleisch zu verzichten, war sensationell weit vorausschauend. Also hatte er entweder selbst eine Zeitmaschine oder er war ein Genie, was seine Gabe anging, sich Zukunftstechnologien vorzustellen. Seine Phantasie war unvorstellbar kreativ. Er hätte vermutlich auch einen verdammt guten Regisseur abgegeben.
1985 kam „Zurück in die Zukunft“ in die Kinos. Was die technischen Möglichkeiten der Visualisierung in den 80ern angeht, war das ein Meilenstein. Aber von jetzt ab wurde es auch schön leicht und bequem, über Zeitreisen nachzudenken und alles was danach kam, waren aufwändige Inszenierungen mit unglaublich hohen Investitionen. Abermillionen gingen drauf, um einen Blockbuster nach dem anderen zu produzieren. In Star Trek-Filmen und Serien war das Reisen durch die Zeiten Dauerthema. Und eine der hochgeilsten Serien, die ich kenne, beschäftigt sich mit einem Polizisten, der nach einem Verkehrsunfall plötzlich im Jahr 1973 aufwacht. Aber das sind bloß 50 Jahre. Im Kino setzten sich die Schauspieler sage und schreibe mehr als dreihundert Mal in eine Zeitmaschine und reisten damit Millionen von Jahre durch die Zeit. Aber was mich am meisten inspirierte, war der orginale, amerikanische, etwas hölzern und umständlich daherkommende Film: „Die Zeitmaschine“ von 1960, den Gorge Pal getreu der Vorlage von H.G.Wells umgesetzt hat. In dieser wohl auch berühmtesten Verfilmung der Romanvorlage, erfindet ein Wissenschaftler an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, im Jahr 1899 eine Art Stuhl mit Tempomat, mit dem er in der Zeit vor und zurückreisen kann. Er reist nach vorne, erlebt die Weltkriege und einen Atomkrieg – der sechs Jahre nach dem Entstehen des Films, nämlich 1966 stattfinden soll(!) – und landet schließlich in ferner Zukunft im Jahr 800.000, wo er eine paradiesische Landschaft vorfindet.
Die Bewohner, die sogenannten Eloi, leben in einem totalen, bedingungslosen Frieden, haben einfache Kutten aus Baumwolle an und den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als in der Sonne zu liegen, Obst zu essen, Wein zu trinken und Spaß zu haben. Man sieht viele junge und glückliche Menschen, denen es gut geht, die fröhlich miteinander umgehen und es scheint in deren Welt überhaupt kein Problem zu geben. Offensichtlich muss auch niemand irgendwas arbeiten. Das gefiel mir. Wie sich dann später rausstellt, werden sie von unterirdischen und bösen Geschöpfen gelenkt. Das sind die sogenannten Morlocks. Ab und an zieht sich ein Morlock einen von den Elois rein, indem sie einfach in die Unterwelt gezogen werden und den in Minen lebenden Morlocks als wohlschmeckende Speise dienen. Das war natürlich weniger schön, aber als ich so sah, wie unbeschwert und locker das ganze restliche Leben der Hippies war, erschien mir das Risiko doch ganz erträglich.
Es steckt jede Menge Symbolik in diesem Film, es geht um nicht mehr vorhandene Bücher über das Wissen der Erde, es geht um Freiheit, um Revolution, um die Lehre der Menschheit und nicht zuletzt auch um jede Menge freier Liebe. Auch der Wissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert im Zeitmaschinenstuhl erliegt dem Eloi-Charme und angelt sich ein blondes, jugendliches und traumhaft hübsches Eloi-Weibchen. Und es ist easy, denn offensichtlich ist Liebe die absolute Stärke der hübschen Menschen in ihren Baumwollkutten. Der Film ist relativ ungelenk und hat keinerlei nennenswerte Special Effects. Er wurde fast komplett in den Metro-Goldwyn-Mayer Studios abgedreht und kam mit insgesamt 750.000 US-Dollar aus, was zwar damals ein hübsches Sümmchen war, aber mit dem man heute keine Forelle mehr vom Teller zieht. Ich sah ihn als vielleicht Zehnjähriger zum ersten Mal, vermutlich an einem Sonntagnachmittag bei meiner Oma, weil dort immer der Fernseher lief und dann nochmal so ungefähr mit 15 oder 16 und beide Male war ich so fasziniert von der Idee und der Umsetzung, dass ich bis heute sofort wieder einsteige, wenn ich Szenen daraus sehe. Man kann auf Youtube einiges davon sehen. Es ist sogar meine eigene kleine Zeitreise, weil ich mich beim Sehen genauso fühle wie damals, als ich mich auch unbedingt in diesen Stuhl setzen wollte.
Als kleiner Junge war schon allein die Fantasie, den Zeithebel zurück zu ziehen und damit binnen weniger Sekunden in den wilden Westen oder ins Mittelalter zu reisen, ein verdammt spannendes Abenteuer. Oder eben nach vorn zu drücken und mutig in ferne Welten zu entfliehen. Später, als ich den Film zum zweiten Mal sah, fand ich die Vorstellung unwiderstehlich und sehr erotisch, unter all diesen hübschen Elois zu leben und mit ihnen völlig entspannt in freier Liebe zu leben und mehr als einmal hatte ich mir gewünscht, nicht nur die hübsche „Weena“ des Professors, sondern am liebsten alle von den zauberhaften Elois kennenzulernen, die da so fern in der Zukunft herum schlenderten. Die Jungs sahen zwar naiv und brav aus, aber auch sie machten einen völlig entspannten Eindruck und federten durch die Landschaft, als ob es dort nie so was wie Spannungen, Eifersucht oder Rivalen zu geben schien. Sie liefen Hand in Hand durch ihre Traumlandschaft, auch manche Jungs miteinander und freuten sich unter ihrer Eloi-Sonne des Lebens, lachten und sprachen und tanzten und liebten, als ob sie einen Werbefilm für das Leben in einer Sekte abdrehten. Wahrscheinlich hatten sie unter ihren Baumwollkutten auch gar nichts an und trieben es den lieben, langen Tag, zumindest wenn nicht gerade die Kamera der Metro-Goldwyn-Mayer Studios draufhielt.
Abends beim Essen setzte sich der Professor zu den schönen, entspannten, hübschen und jungen Menschen und fragte sie ein bisschen aus über ihr Leben. Glücklicher Weise redeten sie alle englisch, was mir aber erst beim zweiten Mal auffiel. Na gut. Auf jeden Fall sitzen sie da und schauen sorglos durch die Gegend, geben etwas einsilbige Antworten, aber allein schon durch die Tatsache, dass sie den wie einen Fremdkörper wirkenden Professor so unkompliziert und selbstverständlich aufnahmen, regte meine Fantasie jeden Tag aufs Neue an. Ich glaube, ich hab wochenlang davon geträumt, von Elois verwöhnt zu werden. Ihre Antworten sind lässig, aufreizend, langsam und ihr Lächeln verrät, dass es ihnen einfach gut geht – auch wenn ab und zu einer von ihnen dran glauben muss. Die Geschichte geht dann so aus, dass der Professor den Morlocks kräftig eins überbrät und dann wieder kurz zurück in seine Gegenwart reist, um seinen Kumpels bescheid zu sagen. Aber es ist grad keiner da und weil seine Maschine in der Zukunft in die Morlock-Höhle gezerrt wurde, schiebt er sie wieder zurück an ihren alten Platz und macht sich dann wieder auf zu seiner hübschen „Weena“, mitsamt drei Büchern, in denen was über das Leben im 20. Jahrhundert steht. Viel mehr würde er in dieser Zukunft nicht mehr brauchen. Nun, das kann ich verdammt gut verstehen!
*
*
*
*************