Die Ben-Trilogie (Teil 2)
Ich klingelte am frühen Nachmittag bei Ben, weil ich wusste, dass das eine gute Zeit war. Ben brauchte immer ein paar Stunden, bis er in Fahrt kam. Andererseits konnte er zu sehr in Fahrt sein, wenn man ihn erst abends sah. Die Zeit zwischen zwei Uhr nachmittags und sechs Uhr abends war daher ideal. Und Ben war an diesem Tag in Fahrt. „Gut dass du kommst“, sagte er, „du kannst mir dabei helfen, den ganzen Müll hier runter zu schaffen". Er hatte die beiden schwarzen Mülltonnen aus dem Hof direkt über den Fahrstuhl in seine Küche bugsiert, weil es ihm so praktischer erschien. Das Ganze war Folge eines Sonderangebots. Im Supermarkt gab es zwei Wochen vorher ein lokales Bier für 29 Pfennig die Dose, worauf Ben sein Sparschwein schlachtete, das ein WG-Mitbewohner für ihn verwaltete. Mit den 74 Mark, die er dort rausholte, reichte es für zehn Paletten Dosenbier und nach der Dosenwoche musste das leere Zeugs irgendwo hin. „Geht klar“, sagte ich und wir schaufelten die Dosen – es müssen so um die hundertfünfzig gewesen sein – direkt in die 240-Liter-Tonnen, bis sie randvoll waren, um sie dann wieder in den Aufzug zu schieben. Nachdem die Dosenflut im Hof war, besprachen wir die Lage. Ben hatte Stress mit dem Vermieter. Aus seiner Kloschüssel floss nach jeder Spülung Wasser auf die Fliesen und da die Läden noch offen waren, war der Auftrag für den Tag beschlossene Sache. Ich hatte eh nichts zu tun und war immer bereit für etwas Action. Bis zum Feierabend war noch reichlich Zeit. Also stiegen wir in meinen Kadett und machten uns auf die Suche nach einer preisgünstigen Alternative.
Im Baumarkt war nichts zu machen. Ben schlug zwar vor, die Schüssel souverän durch den Markt zu tragen und sie im Außengelände über den Zaun zu werfen, aber erstens war der zu hoch für eine derartig artistische Leistung und zweitens war unklar, ob ich sie auf der anderen Seite auch hätte fangen können. Unser nächster Versuch führte uns zu einem Sanitärgroßhandel, wo wir auf die übliche Weise zum Erfolg strebten. Je offensiver, unverschämter und selbstverständlicher man vorging, desto einfacher war es. Wir schritten die Hochregale mit den Schüsseln ab und merkten, dass es ganz schön viele Modelle gab. „Na gut“, sagte Ben, „die da oben sieht ungefähr so aus wie meine“. „Käme auf den Versuch an“, sagte ich. Ich suchte einen der Gabelstapelfahrer, um das Ding aus etwa zehn Metern Höhe runter zu hieven, fand aber keinen. Stattdessen lief mir ein Kundenberater über den Weg, dem ich erzählte, ich sei an Fliesen interessiert. In der Zeit hätte Ben vielleicht einen Stapelfahrer finden können und dieser Scherge des Systems sei schon mal aus dem Spiel, so dachte ich. Wir tappten zu den Fliesen und ich schaute mich in aller Ruhe um, beantwortete die Fragen des Verkäufers und war erstaunt, wie viele Farben und Muster es gab. Ich war gerade dabei, mich für ein Fliesenmuster zu entscheiden, da sah ich Ben aus dem Augenwinkel in einem parallel verlaufenden Gang, eine der Kloschüsseln fest im Griff vor sich tragend, aber leicht schwankend in Richtung Ausgang laufend. Die Sache schien geritzt. Ich bedankte mich höflich für die tatsächlich fachkundige Beratung und schickte den Angestellten zu den Badschränken, weil ich behauptete, ich habe dort noch Kunden gesehen, die auf ihn warteten. Am Ausgang stellte sich dann heraus, dass Ben neben dem Kadett in ein Gespräch mit dem Gabelstapelfahrer verwickelt war, den wir zuvor im Markt noch suchten. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, warum es um Themen wie Arbeitsschutz, Unfall und erste Hilfe ging. Ben hatte es nämlich fertiggebracht, die Schüssel ganz alleine ohne Fahrer runter zu holen, indem er das Regal über mehrere Metallböden hochstieg und auf dem gleichen Weg samt Klo wieder zurück kletterte.
Das Ding war also auch gelaufen. „Die Kasse ist da drüben“, sagte der Fahrer. Ich gesellte mich hinzu und löste den Knoten auf, indem ich mir die Keramik genauer ansah. „Ist die falsche“, sagte ich zu Ben. „Wir brauchen eine andere, aber die sind hier zu teuer. Lass uns fahren“. Ich nahm ihm das Teil und gab es dem Stapelfahrer. „Er ist Akrobat“, sagte ich, „dem können Sie vertrauen“. Wir versuchten es dann noch in einem weiteren Baumarkt, aber eine Kloschüssel aus einem Baumarkt zu tragen, war was anderes, als eine Kiste Shampoo aus dem Supermarkt. „Hör zu“, sagte ich, „es muss ja keine neue sein. Dort unten an der Ecke ist die Tanke. Nimm den Satz Schraubenschlüssel und die beiden Schraubenzieher hier und lass Dir den Schlüssel vom Klo geben. Wir sehen uns in genau 15 Minuten, wenn ich mit geöffnetem Kofferraum vorfahre“. „Das hätten wir gleich machen sollen“, sagte Ben, „ich hab noch ein paar Dosen Bier zuhause kalt stehen“. Beflügelt von der Aussicht auf Erfolg, zog er mit dem Werkzeug los. Ich fuhr zur Tanke, kaufte zur Sicherheit ein Sixpack, schob die Blues-Brothers-Kassette in den Stereo, passte die Viertelstunde ab und fuhr dann zur Rückseite des Gebäudes, wo mir auffiel, dass nicht nur die Toiletten-Tür offenstand, sondern das Wasser in hohen Fontänen raus schoss. Ich hielt in Höhe der Tür und sah zu, wie Ben mit einer Art Springbrunnen zurecht kam. Er hatte einfach nicht nachgedacht und ohne geeignetes Werkzeug die Wasserzuleitung vor der Druckspülung getrennt, was zu Folge hatte, dass er jetzt verzweifelt gegen die Wassermassen ankämpfte, die ihm mit vollem Druck entgegen kamen. Es war ein aussichtsloser Kampf. Zum Zeichen, dass ich mich darum kümmere und er sich nicht weiter davon beunruhigen lassen sollte, dass er den Niagara-Fällen gegenüber steht, hob ich beruhigend die Hand und suchte den Zulauf, den ich schließlich auch fand. Dann war Schluss mit der Dusche.
Ben setzte sich so nass wie ein begossener Pudel in den Wagen und es brauchte etwas, bis wir die Blamage abschüttelten und damit begannen, lauthals über uns selbst zu lachen. Darin war Ben einfach unschlagbar. Ich öffnete zwei Bier, reichte ihm eins rüber und wir nahmen beide einen tiefen Zug, Endlich Feierabend!
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