Die Stadt aus der ich bin, bemühte sich stets redlich, was zu bieten, aber irgendwie war das doch sehr übersichtlich. Für jemanden wie mich, der an allem interessiert war, solange es nichts oder nur wenig kostete, war es mühsam. Die Stütze ging für Miete, Lebensmittel und allerlei berauschender Substanzen drauf und neben Straßenfestival und Gartenfesten blieb immerhin das monatliche, kostenlose Klassik-Konzert. Beim Klassik-Konzert bekam man nicht nur was von Beethoven oder Mozart zu hören, es gab auch ein Buffet mit allerlei Leckereien und wenn man sich geschickt anstellte, massenhaft feinsten Winzersekt. Derlei gesättigt und versorgt, sparte man sich das Abendessen und konnte darüber hinaus noch mitreden, wenn es um Ouvertüren, Kanon und Kammermusik ging. Je mehr Sekt, desto besser gelang das. Dazu musste ich nichts weiter tun, als mich in Schale zu werfen und mich unters geladene Volk zu mischen, was lächerlich einfach war.
Die Konzerte waren nicht wirklich umsonst. Jedenfalls nicht für die anderen. Soweit ich mich erinnere, handelte es sich um eine Art Abo, dessen Kosten mir Schwindelgefühle erzeugte. Einmal im Monat wurde dann zwischen Lachs-Häppchen und Quiche Lorraine zum Konzert geladen. Ich war regelmäßig dabei und entwickelte mit der Zeit ein großes Faible für die Cellistin in der ersten Reihe, in deren Künste ich mich verliebte. Sie nahm das Instrument zwischen ihren Knie, vereinte es mit ihrem schönen Körper und strich dabei im wiegenden Takt so hingebungsvoll, dass es zum Heulen schön war. Ein einziges Mal lächelte sie mich an, während sie ins Publikum sah – und vielleicht war ich ja auch nur deswegen immer da, damit sie das ein zweites Mal tat.
Jedenfalls war es ein lauer Samstagabend im Juni, als ich mich wieder mal anschickte, eine Packung Kultur abzuholen. Ich bügelte mir ein weißes Hemd und zog mir den Anzug an. Einen guten Krawattenknoten zu binden, ist immerhin auch eine Kunst. Dann steckte ich mir Schlüssel, Tabak, Dope und ein paar Münzen ein und machte mich auf den Weg. Ich kam wie immer problemlos unter die übrigen Abendkleider und Smokings, weil es am Einlass nicht in deren Vorstellung passte, dass sich ein Schnorrer wie ich einen Krawattenknoten band. Wir hoben die Gläser auf die übliche Ansprache und ich kam mit einer kultivierten, älteren Dame ins Gespräch, nachdem sie mich darauf ansprach, wie ungewöhnlich es doch sei, dass jemand so gut Zigaretten drehen könne, wie ich. Ihr Sohn könne das auch, aber sein Tabak rieche derart ungewöhnlich, dass sie sich immerzu fragte, was da drin sei.
„Was soll da drin sein?“, fragte ich unschuldig, während ich mir eine ansteckte, in die ich gerade was rein gemacht hatte. „Ich weiß ja auch nicht“, sagte sie, aber es rieche immer so süß, übrigens genau wie meine. Ich sah sie an und dann ihren Begleiter, der irgendwie eine Null war. Es gibt diese Menschen, die nichts außer gepflegter Langeweile ausstrahlen. Sie sind da, sie trinken mit, sie tun sowas wie ihre Pflicht, aber sie sind eigentlich doch nicht da. Der war so einer. Dann drehte er sich um, damit er nicht mit mir reden musste und sie lächelte mich an, zeigte auf die Zigarette und sagte: „Das riecht aber wirklich gut.“ Ich sah ihr in die Augen. Meinte sie das ernst? „Möchten Sie mal ziehen?“, fragte ich. Sie nahm meine Selbstgedrehte, zog kurz an, als ob sie fachmännisch prüfen wollte und nahm dann einen langen und sinnlichen Zug daraus, bevor sie sie mir zurück gab. Ich prostete ihr zu und nahm ebenfalls einen langen, tiefen Zug aus der Röhre. Dann tranken wir aus und gingen zum guten alten „Ludwig Van“ rein. Einige der Gäste zeigten ihre Abokarten vor, mir hingegen reichte immer der souveräne Blick eines unerschütterlichen Hochstaplers, der keine Fragen offen ließ.
Ich setzte mich wegen meiner Cellistin weit nach vorne und als sich das Orchester mit dem dritten Satz des Streichquartetts in C-moll abmühte und sie gerade einsetzte, das Instrument fachmännisch zu bearbeiten, kam hinter mir eine deutliche Unruhe durch allerlei Zisch- und Psst-Laute im Saal auf. Eine Frau rief mehrmals laut „oh, wie schön ist das doch, entzückend, allerliebst“ aus. Ich kannte die Stimme. Und als die Musiker am Ende des Vierten waren, stand sie auf und applaudierte gerührt und überschwänglich, mit Tränen in den Augen, so dass sich alle Blicke im Saal auf sie richteten, was ihrem sonst so unbeteiligten Begleiter augenscheinlich höchstpeinlich war. Dann war Pause und wir machten uns über das Buffet her – und dann sah ich sie auch schon, ein Tablett mit einem Riesenstapel übereinander geschichteten Schnittchen in der einen und eine der Sektpullen in der anderen Hand, fröhlich auf mich zuschweben. Mr. Nobody folgte ihr, sichtlich konsterniert.
„Ist das nicht wunderbar“??, rief sie. „Ja“, sagte ich ehrlich, „das ist es“. Dann machte sie sich über den Berg von Feinkost her, während er sich in die Warteschlange zum Klo einreihte. Ihre Perlenkette wippte rhythmisch auf ihrem Dekolleté auf und ab, während sie die Häppchen mit Heißhunger verschlang. Ab und zu nahm sie einen großen Schluck aus der Sektflasche, gefolgt von einem satten Rülpser. Ich konnte mich hier die nächsten Monate nicht mehr blicken lassen, soviel war klar. Während sie zwischen dem Essen auf mich einredete, wovon ich aber kaum was verstand, rollte ich einen weiteren Joint. „Sie tun da was rein“, rief sie, ohne mit dem Kauen aufzuhören, „ich hab's jetzt genau gesehen!“ „Ach woher“, sagte ich, „alles rein pflanzlich“ – und wusste selber nicht, was das bedeuten sollte. Ich zündete das Teil an und reichte es zu ihr rüber. „Es gibt drei Dinge, die danach unschlagbar sind“, sagte ich. „Zwei davon haben Sie heute kennengelernt“. Dann sah ich zu, dass ich da wegkam.
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