Die Bottiche waren so schwer, dass der Aufzug leicht in die Knie ging, als wir sie reinwuchteten. Drei randvolle 50-Liter-Tonnen hatten wir zusammen. Charly war es, der auf die Idee kam, sich Tante Margot als Abnehmer für Ihre überreifen Pflaumen anzubieten. „Wir machen da astreinen Stoff draus“, sagte er. Er wusste, wie das geht und ich war verdammt heiß drauf, es zu erfahren. Er hatte seinem Alten beim Schnapsbrennen zugesehen und jetzt würde er es mir zeigen und eines Tages würde ich selbst drei Söhne zeugen und die hohe Kunst des Handwerks weiterreichen. Aber zuerst mussten die Dinger reifen. Sie mussten so reif werden, dass es eine einzige Suppe würde und dann würde das schon hinhauen mit dem guten Stoff. Wir holten die Kerne raus und gaben Wasser dazu. Dann ließen wir sie gammeln. Das Problem war eigentlich nicht das Gammeln, mehr der unsäglich scharf-süße Geruch, den die Dinger dabei ausströmten. Die Wohnheim-Küche war für alle fünfzehn Bewohner auf dem Stockwerk gemeinsam. Anfangs ging’s ja auch noch. Es duftete ein bisschen nach Pflaumenmus, aber dann nahmen die Früchte so eine Art Eigenleben an und nach dem Zucker und der Hefe war der Gestank Thema Nr. 1. Zunächst nur in der Küche, aber dann waberte der Duft irgendwie raus, war vor den Aufzügen, drückte sich dann rechts und links in die Gänge und irgendwie durch die Ritzen in jedes der Zimmer. Nichts riecht so penetrant wie faules Obst. Es setzte sich überall fest. Selbst die Holztüren der Küche, der Waschräume und der Zimmer nahmen den Geruch an, alles in der gesamten Etage, aber wirklich alles stank danach.
Ab und an sah sich Charly unsere Suppe an, sagte was von PH-Werten und Öchsle, rührte die Brühe um, gab Zucker und Hefe rein und ansonsten warteten wir einfach ab. Nach vier Wochen brauchte man eine Art Geruchsbinde, um die Pflaumen umzuwälzen. Als Zivis hatten wir über die Klinikstationen reichlich Zugriff auf sowas. Nicht nur das. Charly arbeitete im Labor des Krankenhauses und kam nach und nach mit allerlei Glasmaterial vorbei, um den großen Brand vorzubereiten. Die anderen kriegten langsam aber sicher die Krise. Das ganze Stockwerk war nach mehreren Wochen so schwanger vom Gestank nach fauligen Früchten, dass sie echt unangenehme Fragen stellten. Eine Zeit lang kriegten wir das noch in den Griff mit irgendwelchen Ausreden, aber langsam wurde es Zeit, den Stoff zu veredeln. Dann war es endlich soweit. Es war ein Sonntag und das war der ideale Tag dafür. Die anderen waren übers Wochenende weg und wir hatten die Küche für uns allein. Wir füllten die riesigen DampfkochTöpfe unserer Verwandten mit dem durchsiebten Sud und kochten das Zeugs langsam, aber stetig ein. Dicke Schwaden verdampfenden Alkohols zogen durch die gesamte Etage und wir spürten schon bald, wie wir vom einfachen Atmen besoffen wurden. Es war inzwischen ein knackig kalter Herbsttag geworden und die Kälte, die durch das sperrangelweit geöffnete Küchenfenster reinzog, mischte sich mit der Pflaumenmelange und der Musik von Muddy Waters, den ich aus aus meinem Zimmer dröhnen ließ. Wir begannen damit früh morgens und so gegen zwölf brodelte die Suppe immer noch munter vor sich her und wir verschmolzen so langsam mit unseren Früchten zu einer alkoholisierten Einheit. Die Fantasie ging langsam mit mir durch. Wir waren Pflaumenmännchen und hätten außerhalb des Wohnheims gute, lebendige Duftkerzen abgegeben, stellte ich mir vor.
Charly hatte allerlei Gefäße miteinander verstöpselt und einen Riesentopf so umgebaut, dass von ihm über einen Schlauch die Brühe in ein Gefäß übersteigen konnte. Von da aus gab es eine dieser langen Glasspiralen, die zu einer weiteren Glaskanne führte. Es gab außerdem ein Thermometer und zwei weitere Messinstrumente. Das alles sah wahnsinnig professionell aus, genau wie in diesen Filmen, wenn sie in irgendwelchen Bretterverschlägen Schnaps brannten und unsere Küche war mit dem ganzen Zeugs auf den Tischen und Flächen gut ausgelastet. Gleich würden wir den verdammt besten Schnaps der Welt kosten und wir selbst hatten ihn hergestellt! Der Gedanke, nur durch das Vergären von Früchten, mit ein bisschen Platz, ein bisschen Know-how und einer Reihe von toleranten Mitbewohnern leckeren Pflaumenschnaps herzustellen, faszinierte mich. Ich rollte einen Joint wie ein Ofenrohr und wie ließen das große Ganze nicht mehr aus den Augen. Der Dampf füllte die Spirale und formte sich zu Tropfen aus. Aus meinem Zimmer sangen die Stones „you cant always get what you warnt… but if you try sometimes… you get what you need“
Die Tropfen kletterten wie von Geisterhand nach oben, sammelten sich und verteilten sich langsam und tropfenweise über den Korken in die Vase, die auf dem Tisch stand. Ich sah mir jeden einzelnen davon an. „Das erste trübe Zeugs darfst du nicht trinken, das ist Gift“, belehrte mich Charly. Er hatte echt ne Menge Ahnung davon. Das erste trübe Zeugs kam. Ein Schnapsglas voll. Dann sahen wir uns wieder die Tropfen an. Aber die Produktion stockte. Was in den Röhren steckte, war weniger als ein weiteres Schnapsglas und es ging ums Verrecken nicht weiter. „Was ist los“, fragte ich. „Ich hatte es befürchtet“, sagte er. „Wir hatten zuviel Luft dran gelassen“. „Du hattest es befürchtet??“, rief ich. „Wir räuchern die Bude ein, betreiben diesen ganzen Aufwand, leben wochenlang im Pflaumengestank und kriegen nichts weiter als das bisschen giftige Zeugs… Und du hast es geahnt??“ ich konnte es einfach nicht fassen. Ich starrte das Ergebnis aus 150 Kilo Pflaumen an. Charly tat das gleiche.
Dann prostete ich ihm zu, nahm die Hälfte aus dem Giftglas und er zog sich den Rest rein. Ich ging ins Zimmer und durchsuchte meine Schränke. Und fand den Sliwowitz aus dem vergangenen Jugoslawien Urlaub, nachdem ich kramte. Wir räumten den ganzen Krempel zusammen und teilten uns die Flasche. Es fühlte sich trotzdem nicht nach einer Niederlage an. Eher nach harter, getaner Arbeit und gerechtem Lohn, denn der Stoff von jemandem, der mehr davon verstand, schmeckte so, wie wir uns unseren eigenen vorstellten. Und das ganze kochen und basteln machte ja auch irgendwie Spaß. Nach und nach kamen die anderen vom Wochenende zurück, berochen naserümpfend die inzwischen bis ins Erdgeschoss gezogene Fruchtwolke, sahen kurz in die Küche, fanden zwei reichlich betrunkene Mitbewohner auf Dope und versuchten, sich einen Reim drauf zu machen.