Der Geschmack nach Abenteuer und Freiheit

 

Bild: wikimedia commons – Murattiwerbung

Es war cool, Zigaretten zu drehen. Es gab einen, der war zwei Klassenstufen höher und der schaffte es, eine Zigarette in der Manteltasche zu drehen, sie fertig gepfriemelt raus zu ziehen, lässig mit der Zunge zum Kleben drüber zu fahren und sie dann genussvoll anzustecken. Das wollte ich auch. So schwer es war, das Kunststück nachzumachen; es dauerte viel länger, mit dem Rauchen wieder aufzuhören. Das lag vor allem daran, dass ich es zu einem sehr ausdauernden Raucher brachte. Ich rauchte morgens nach dem Frühstück die erste und als typischer Suchtraucher zog ich mir alle halbe Stunde eine neue nach. Ganze zwanzig Jahre lang.

Viel später erst, als ich die Entgiftung schon einige Zeit hinter mich gebracht hatte, wurde mir klar, warum das so war. Rein gifttechnisch hat Nikotin die Angewohnheit, zum Anfang sehr stark zu wirken. Man nennt das medizinisch tatsächlich eine hohe Anflutgeschwindigkeit des Bestandteils der Tabakpflanze, der eigentlich dazu dient, Fressfeinde der Pflanze abzuwehren. Dann fällt die Drogenwirkungskurve Minuten nach der Zufuhr steil nach unten ab und spätestens nach einer halben Stunde mag man wieder rauchen. Das ist auch der Grund, warum in Zigarettenpackungen zwanzig bis fünfundzwanzig Fluppen drin sind – es reicht für einen Tag. Nikotin aktiviert bestimmte Nerven und hemmt die Aktivitäten anderer, bestimmter Nerven. Das alles führt bei Menschen, die regelmäßig rauchen, zu folgendem, erstaunlichem Phänomen: Es gibt einfach keinen Grund, nicht zu rauchen. Rauchen geht immer. So war es auch bei mir.

Fragen wir Raucher, warum sie rauchen, erhalten wir – sofern die Raucher überhaupt antworten wollen und nicht nur sagen, dass es schmeckt – folgende Antworten: Ich will mich entspannen / Ich muss mich jetzt konzentrieren. … Es ist mir langweilig / Ich bin gestresst. … Ich nehme mir etwas vor / Ich habe etwas geschafft. … Ich bin erleichtert / Ich rege mich auf. So geht das mit allen Gründen, die es für das Rauchen gibt: Einerseits, andererseits. Aber kein einziger Grund, nicht zu rauchen. Und wem das so sehr schmeckt, der möge sich an seine erste Zigarette erinnern, als die Geschmacksnerven noch nicht vom Gift betäubt waren. Das soll schmecken? Um es mit dem Nichtraucherpapst Allen Carr zu sagen: Eine rote und sonnenverwöhnte Tomate vom Bauern, die schmeckt. Der grüne und saftige Apfel, der schmeckt. Aber eine Zigarette tut es definitiv nicht. Wer wollte sowas Bitteres essen? Es ist das raffinierte Gift dieser Pflanze, das uns glauben lässt, dass die Droge schmeckt, auf die wir angewiesen sind. Wer außer dem Menschen käme darauf, ein Nervengift freiwillig zu verzehren?

Glücklicherweise gibt es noch weitere Gründe, die Raucher dazu bringen, mit der Sucht zu brechen. Ganz abgesehen von diversen Krebsarten, die das Rauchen massiv fördert, kostet es einen Haufen Geld. Zwanzig Jahre geraucht, das sind, egal was man raucht, mindestens 30.000 Euro. Der ganze Tagesablauf ist gerade in Nichtraucherschutzzeiten komplett auseinander gerissen. Arbeitskollegen unterbrechen ein bis zwei Mal pro Stunde die Arbeit, gehen vor die Tür, rauchen dort, müssen sich für diese Zeit aus der Zeiterfassung ausloggen, um sich dann durch das Rauchen besser zu konzentrieren. Oder man stinkt danach, so dass es kein anderer riechen möchte, außer den Suchtrauchern selbst – aber doch auch nur, weil sie es selber nicht mehr riechen können. Die Geschmacks- und Geruchsnerven von Rauchern sind ebenso wie ihre Nerven völlig am Ende. Es ist geradezu absurd als langjähriger Suchtraucher, damit immer weiter zu machen.

Dabei ist es einfach, aufzuhören. Es tut nicht weh. Es verursacht keinen Schmerz und kein Leid. Man kann es von einem auf den anderen Moment tun und die Welt dreht sich weiter wie zuvor. Warum quälen sich so viele, damit aufzuhören? Weil sie es als einen Verlust betrachten und nicht als Gewinn, damit aufzuhören. Wenn der Leidensdruck nicht groß genug ist und man sich der Gehirnwäsche, die uns die Tabakindustrie seit der Jugend eingeprügelt hat, nicht entziehen will und sie auch gar nicht sehen will, ist der Versuch kaum erfolgreich. Kein anderes Produkt wurde so geschickt und mit einem solch hohen Aufwand vermarktet, wie Zigaretten. Erfolg, Coolness, Abenteuer, leichtes Leben… das alles steckt in den Papierstiften voller Teerstoffe, Reizgasen und Kohlenmonoxid. Wie kam es nun zu meiner Zigarettenflucht?

Ich spürte ein seltsames Symptom, kurz bevor ich die zwanzig Jahre fast voll hatte. Es kribbelte immer so unangenehm im Bereich des Kehlkopfs, ganz ohne Anlass und oft stundenlang. Voller Angst vor Schlimmerem ließ ich mir einen Termin beim Internisten geben, der mit einer für damalige Zeiten revolutionär winzigen Kamera nach Betäubung Kehlkopf, Luft- und Speiseröhre abfuhr. Ohne Befund, aber mit deutlichen Anzeichen für Jodmangel, den er mir durch Nährstofftabletten und Jodsalz abzuhelfen empfahl. Ich verließ die Praxis und ging zurück runter zur Straße. Es regnete. Ich hatte keinen Schirm dabei, also stellte ich mich unter, um den Regenguss abzuwarten. Ich griff in meine Taschen, zog die Fluppen raus und steckte mir eine an. Erleichtert und dankbar dafür, dass es keinen Befund gab. Es schmeckte mir und es tat gut. An diesen Moment erinnere ich mich, als ob ich heute noch diese bestimmte Zigarette Zug um Zug kürze. Es war der Moment, in dem mir klar wurde, was ich gerade tat – kurz nachdem ich mir bescheinigen ließ, dass ich bisher davon gekommen bin. Mehr Motivation war nicht nötig.


 

 

 

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