Der dicke Patrick gab mir Rückendeckung. Er stand zwischen der Kassiererin und dem Regal mit den Fluppen, während ich die Benson & Hedges in die Jeans stopfte. Dann bezahlte er mit zittrigen Händen seine Kaugummis und es war spannend wie im Krimi, ob sie beim Kassieren Lunte roch. Ich kannte sie. Sie war sehr hübsch, einen guten Kopf größer als wir und hatte blaue Augen wie Leuchtfeuer. Auf ihren großen Brüsten trug sie ein Namensschild, auf dem „Gottlieb“ zu lesen war.
Manchmal, auf der Straße, grüßte ich sie und sagte „Einen schönen Tag, liebe Frau Gottlieb“ oder „Sie sehen heute wieder fantastisch aus“ oder ich sagte „Na, schon wohl verdienten Feierabend?“ Sie antwortete nie. Sie drehte sich nur mit einem verspielt angedeuteten Lächeln auf die Seite und jedes Mal sah es aus wie „Ach Kleiner, was weißt du denn schon? – mit Deinen 13 Jahren“. Ich wusste schon ’ne ganze Menge! Aber sie natürlich nicht, dass ich es wusste.
Als der dicke Patrick mit bezahlen durch war, begann ich unser übliches, kleines Spielchen. „Geben Sie mir ’ne Schachtel Benson & Hedges“. Sie sah mich verächtlich an. „Jungs, Ihr wisst doch, dass Ihr von mir keine Kippen kriegt – also zischt ab hier“. Ich sah zum dicken Patrick hin und grinste. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er sah aus wie jemand, der gleich kotzt. Dann sagte ich, „Okay, ich krieg auch ’ne Packung von den Kaugummis da“ und zeigte drauf. Sie nahm sie aus dem Dispenser und sah mir mit ihren blauen Leuchten direkt in die Seele. Schulschwänzer wie wir kriegten in der Regel keinen Ton raus und sie merkte sofort, dass hier was faul war.
Ich war gut in Form, während der dicke Patrick mich schon am Pulli zog, damt wir aus dem Laden raus waren. „Danke, Frau Gottlieb, ich wünsche noch einen angenehmen Arbeitstag und kommen Sie gut in den wohlverdienten Feierabend!“. Sie antwortete nicht. Der dicke Patrick stand schon mit einem Bein auf der Straße und schien zu zittern. Er brauchte dringend Hilfe. Ich nahm das Wechselgeld, brachte es aber doch nicht fertig, noch was Witziges nachzuschieben. Jetzt tat es mir wieder leid, dass meine verdiente Heldin der Arbeit von Nichtsnutzen wie uns ausgenommen wurde. Für mich war es Frau Gottlieb, die wir beklauten und für sie waren wir es, die sie persönlich beklauten. Es hätte ihr schnurzegal sein können, aber das war es nicht. Eines Tages würde ich es wieder gut machen und sie heiraten – so viel stand fest.
Wir streunten die Straße runter, vorbei am Nachtclub, auf dessen Tür groß und breit zu lesen war: „Geöffnet ab 22 Uhr. Nur für Erwachsene!“ Dann weiter beim Eisenhändler, der den ganzen Tag rauchend vor seiner Firma stand und die Vorbeifahrenden auf Brauchbares prüfte. Manchmal stürzte er auf die Straße und hielt die Autos an, indem er sich den Fahrern wie ein Kreuzritter mitten in den Weg stellte und dann einfach fragte, ob er die Teile auf dem Hänger haben dürfe. Und das funktionierte oft genug. Unten an der Ecke, wo der Spielplatz an den Militärshop grenzte, bogen wir in die Gasse ein und blieben unter der großen Laterne stehen.
Jetzt war es an der Zeit, die Beute zu begutachten. Ich zog die goldfarbene Schachtel raus und betrachtete die Packung. Der Schriftzug war in Schönschrift und in einer Prägeschrift auf die Packung eingraviert. Das Ende der Cellophanschnur leuchtete rot und wenn man die Sonne auf der Packung reflektierte, blendete sie uns wie ein Schatz aus Gold. Ich zog den Faden ab, entblätterte knisternd die Hülle und strich mit den Fingerkuppen über die eingeprägte Schrift. Es würde ein ganz großer Moment werden. Dann klappte ich die Packung nach oben, zog das silberne Deckblatt ab und sah mir die Filter an, wie sie von oben blendend weiß und am Filterstück orange in drei Reihen dicht nebeneinander steckten. Goldene Papierringe trennten den Filter vom Tabak, der angenehm duftete, wie ich fand. Ich nahm mir die erste von links aus der Mittelreihe und ließ dann den dicken Patrick ran.
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