Im Sommer bin ich immer ganz gern am Weinbrunnen. Rund fünfzig Tische um einen Kiosk herum. Sie schenken etwa zwanzig Weinsorten zwischen Dreifünfzig und Vierfünfzig auf dem „Rüdi“ aus. Zwischen mittags um drei bis abends um zehn wird gebechert. Die meisten sind Rentner. Zweidrittel Frauen. Die Männer machen’s nicht so lange. Sie schuften bis zur Rente und wenn sie sich mit ihren Frauen vergnügen könnten, können sie sich nicht mehr riechen oder sterben weg. Es ist üblich, hier Mitgebrachtes zu futtern, die Pizza oder Brezel von nebenan schmeckt aber auch ausgezeichnet. Alles was noch nicht im Rentenalter ist, kommt in Gruppen daher. Man steigt aus der Ubahn, stiefelt die paar Meter bis zum Platz, ordert sich nen Wein und setzt sich irgendwo hinzu. Das ist hier nicht nur üblich, sondern auch notwendig, weil fast immer alles bis auf den letzten Platz besetzt ist. Und immer wird man zum Schnattern eingeladen. In einer Mischung aus Berliner Schnauze und Weinseligkeit erzählen die Leute aus ihrem Leben und man lernt manch interessante Vita kennen.
Einmal traf ich eine Dame, die mir erzählte, sie sei mit einem Künstler liiert gewesen, der ihr zwanzig schöne Jahre schenkte, bis sie eines Tages merkte, dass er sie nach Strich und Faden belog. Er trieb es mit ihrer Halbschwester. Sie schmiss ihn aus der gemeinsamen Wohnung und redete mit beiden kein Wort mehr. Das sei jetzt auch schon wieder zwanzig Jahre her. Ich rechnete nach. Da sie mit 35 nach Berlin kam, musste sie jetzt um die 75 sein. Dafür sah sie noch sehr frisch aus und das sagte ich ihr auch, worüber sie sich sehr freute. Ich sagte auch, ich könne das verstehen, dass sie mit dem Idioten keinen Kontakt mehr habe. Das war mutig, denn ich hatte es nicht erlebt. Sie muss ein hübsches Mädchen gewesen sein, als sie 35 war. Ich erzählte ihr, dass ich schreibe und sie wollte was von mir lesen. Ich reichte ihr was rüber und sie las es. Es war eine Geschichte über einen, der im Supermarkt klaut und am Monatsende dem Geschäftsführer anbietet, eine Entschädigung in Höhe des halben Beutewerts zu zahlen. Sie lachte und dann sagte sie, sie könne das verstehen.
Ein anderes Mal traf ich ein Pärchen, das schwer am Bechern war. Sie breiteten ihre Beziehungsprobleme so offen, laut und redselig aus, dass ich irgendwann eingriff, um die Sache zu regeln. Ich konnte mich einfach nicht mehr aufs Schreiben konzentrieren. Hört zu, sagte ich, ihr macht das jetzt so und so, sonst wird das nichts mehr. Dir, sagte ich zu ihm, rate ich, zuzuhören und Dir, sagte ich zu ihr, rate ich, Deine Ansprüche runterzufahren. Sonst bleibst Du für den Rest Deines Lebens einsam und das ist doch das Letzte, was Du willst, oder? Es funktionierte prächtig. Kurze Zeit später zogen sie zufrieden, besoffen und einträchtig ab und bedankten sich beide für die Lebensberatung.
Dann lernte ich was über das Liebesleben der Honigbiene von einem Imker. Die Königin fliegt zu einem Hochzeitsflug aus und paart sich dabei mit rund zwanzig Männchen und dann geht das los mit dem Eierlegen. Die anderen Weiber dürfen nicht und falls doch, werden ihre Eier weggeschafft. Die Kerle sind nur dazu da, zu befruchten und werden dann rausgeworfen, falls sie nicht ohnehin schon im Liebesflug dahingerafft werden. Die haben keine Sorgen um Künstlerehen oder Beziehungsstress. Aber auch keinen Weinbrunnen.
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