Daumen im Wind

Ich hasste diese Termine auf dem Arbeitsamt. Aber ich musste dahin, wenn ich meine Bleibe und das bisschen Geld nicht verlieren wollte. „Bringen Sie Ihr Ausweisdokument mit“, stand da immer. „Ich möchte mit Ihnen über Ihre Beschäftigungssituation reden“. Es waren die Achtziger. Es gab keine Beschäftigung. Es gab oft genug nicht mal eine Situation. Man …

Duzi Duzi

Sie schreien mich zu jeder vollen Stunde an. Nichts im Radio ist derzeit so impertinent wie die Lidl- und Aldi-Spots. Fürchterlich nervige Frauenstimmen, die sich schmerzhaft ins Ohr schälen, brüllen irgendwelche Angebote raus. „Cherrytomaten – die 300 Gramm Packung diese Woche nur Einsneunundsiebzig – sie sparen ZWANZIG Cent!!!“ Ich hingegen würde liebend gern zwanzig Cent …

Der große Brand

Die Bottiche waren so schwer, dass der Aufzug leicht in die Knie ging, als wir sie reinwuchteten. Drei randvolle 50-Liter-Tonnen hatten wir zusammen. Charly war es, der auf die Idee kam, sich Tante Margot als Abnehmer für Ihre überreifen Pflaumen anzubieten. „Wir machen da astreinen Stoff draus“, sagte er. Er wusste, wie das geht und …

Zweikommazwei

Als die blauen Lichter hinter uns auftauchten, war mir sofort klar, dass ich geliefert war. Es war vier Uhr morgens, ich hatte eindeutig zu viel gebechert, ich hatte drei betrunkene Mitfahrer – und sie würden mich dran kriegen. Eigentlich wusste ich, wie man mit diesen Kontrollen souverän umgeht. Es nützte einfach wenig, sein schlechtes Gewissen …

Wie man das Volk zählt

Bild: Wikimedia Commons: Volkszählungsbögen an der Mauer 1987   Volkszählung? Nicht mit uns. Eine kleine Erzählung zum zivilen Ungehorsam aus einem halben Land, das es nicht mehr gibt. Es muss so Anfang 88 gewesen sein, als ich beim Umziehen in einer Ecke meiner Küche etwa zweihundert Volkszählungsbögen fand. Alle vollständig ausgefüllt, aber ohne Erfassungsnummern, die fein …

Berlin, ick liebe Dir!

  Bald haben wir Zehnjähriges, mein Berlin und ICKE. Und wenn ich heute unterwegs bin, denke ich mir: ich will gar nicht mehr woanders hin. Ich liebe die Stadt, wie sie ist! Und ich kann das ganze Gemecker von den Berlinern, die hier leben, einfach nicht mehr hören. Den Auswärtigen sei gesagt: Meckern gehört hier …

Grün ist die Hoffnung

Es war kurz vor Weihnachten, überall lag hoher Schnee in den Straßen. Ich war gerade dabei, ein unsterbliches Gedicht zu schreiben, als das Telefon klingelte. Melinda war dran. Ich hatte sie im Sommer während einer Fortbildung kennengelernt. Sie war nicht besonders hübsch und an allem seltsam unbeteiligt. Ihre Haut war etwas zu blass und sie …