Another One Bites The Dust

In den Neunzigern hielt ich mich mit einigen der übelsten Jobs über Wasser und gemeinsam mit dem, was Natalia so anschaffte, reichte es für die Miete und auch sonst schoben wir keine Panik. Uns fehlte es an nichts oder zumindest war uns nicht bewusst, dass es an irgendwas fehlte. Was genau sollte das auch sein? Wir hingen die meiste Zeit über im Garten ab. Es war unsere zweite Heimat. Sie bemühte sich, irgendwas zum Blühen zu bringen, zog die Salatköpfe groß, schnitt die Hecken oder buddelte Kartoffeln ein und aus. Ich mähte den Rasen, schnitt die Bäume oder reparierte am Gartenhäuschen, wenn was kaputt war. Nachmittags legten wir uns in die Sonne und wenn wir Lust hatten, machten wir abends ein Lagerfeuer, knackten ein paar Dosen Bier und schauten uns die Glut an, wie sie rot und gelb das Holz verschlang.

Mir war klar, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Das bürgerliche Leben würde uns irgendwann einfangen, wenn wir nicht aufpassten. Oder wir würden uns das Paradies selbst zerstören. Durch einen schwachen Moment vielleicht. Oder weil es nach Abenteuer roch. Aber noch war uns bewusst, wie gut wir es hatten, ohne uns für einen halben Luxus krumm zu machen. Und ich war fest entschlossen, diesen Standard halten. Nur das Arbeitsamt machte mir Sorgen. Mein Sachbearbeiter hatte gewechselt. „Lernen Sie doch einen zweiten Beruf“, sagte er. Hmmh. Einen zweiten Beruf lernen, das klang nach finanzierter Ausbildung und nach was Neuem und außerdem nicht nach vierzig Stunden in geschlossenen Räumen, während die Sonne über unserem Garten zog und abends wieder verschwand. „Also gut“, sagte ich, „um was geht´s?“. Er zog einige Papiere unter einem Stapel raus und hielt sie mir unter die Nase. „Das hier“, sagte er, „könnte sie zu einem Netzwerk-Admin machen“. Ich sah mir die Papiere an, aber verstand nicht nicht so recht, was er meinte. Es war was mit Computern.

„Wir hätten hier eine einjährige Ausbildung und ein bisschen Praxis – und dann sind Sie ein Microsoft Certified Systems Engineer“, strahlte er. „Wow“, dachte ich. Klingt gut. Ingenieur. Zertifiziert. Aber warum Microsoft? „Das ist jetzt ein ganz großes Ding“, meinte er. „Die Leute sind sehr gesucht. Sie kennen sich anschließend mit Windows richtig gut aus und haben große Chancen auf gut bezahlte Jobs“. Das hatte wiederum weniger Strahlkraft auf mich. Etwas Neues lernen, okay. Eineinhalb Jahre finanziert sein, okay. Aber anschließend Geld verdienen, weil es von mir erwartet wird, das fand ich weniger attraktiv. Ich dachte an den Liegestuhl, das Feuer und die Kartoffeln. Aber ich wollte den Typen auch nicht enttäuschen. Es war schließlich das erste Mal, dass das Arbeitsamt was zu bieten hatte. Andere mussten sich übelste Kurse über Telefonmarketing antun. Das hier klang doch wenigstens danach, dass ich dieses verkackte Betriebssystem verstehen würde. „Okay – Schreiben Sie mich ein!“. Da strahlte er über beide Ohren und setzte irgendwo einen Haken.

Ich klärte die Sache mit Natalia, die sich zunächst mit dem Gedanken abfinden musste, selbst den Rasen zu mähen. Aber dann begossen wir die Entscheidung bei einem zünftigen Lagerfeuer und fanden es ganz gut so. Kurze Zeit später fand ich eine Einladung der Firma, die den Kurs durchführte und dafür vom Arbeitsamt und von Microsoft bezahlt wurde. Die Klasse, in die ich kam, war mit zweiundzwanzig Teilnehmern gut besetzt. Wir lernten, wie man Netzwerke baut, wie die IP bestimmt wird, welche Protokolle und Sicherheitsrichtlinien es gibt, wie viel davon Microsoft war und auf welche Stellschrauben es ankommt. Wir lernten viel übers Internet, über Routinen, Speicher, RAM und ROM und von den ganzen Einstellungen und Shortcuts, die 99% der User überhaupt nicht wissen oder brauchen. Es war unterhaltsam, keine Frage. Ab und zu machten wir uns einen Spaß daraus, sich gegenseitig in unsere Systeme zu hacken und Botschaften auf den Desktop zu schreiben. „Killroy was here“. Für die weniger spannenden Tage, installierte ich mir ein Spiel namens „RollerCoaster Tycoon“ und baute atemberaubende Achterbahnen. Einmal schaffte ich es, dass vier verschiedene Achterbahnen zur gleichen Zeit entgleisten und sich die Waggons aus vier verschiedenen Richtungen in der Luft trafen, in einem brennenden Inferno zusammenkrachten und dann in einen Pool stürzten. Aber als es wieder Frühling wurde, schaute ich nach draußen und vermisste den Garten.

Am Ende der Ausbildung kursierten die Prüfungsfragen und selbst wenn ich nichts gelernt hätte, hätte ich die Prüfungen mit der Höchstpunktzahl abschließen können und so wurde ich „Microsoft Certified Systems Engeneer“, ließ mir Visitenkarten drucken und schrieb stolz Netzwerkadministrator drunter. Dann setzte ich dreißig Bewerbungen ab und stellte fest, dass ich mir damit nichts kaufen konnte. Noch nicht mal eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Ich hatte was dazu gelernt und vielleicht hätte es auch zu ’nem halben Luxus gereicht, aber dann holte mich dieser Babyboomer-Fluch wieder ein. Jetzt machten es die anderen auch! In den Firmen hieß das große Zauberwort jetzt Informatik und wer das studiert hatte, war mindestens zehn Jahre jünger und viel attraktiver. Einige Wochen später, als wir längst wieder Zeit für Bücher, Spiele, Sonne und Brombeeren hatten, erzählte ich Natalia von Programmier-Routinen und Designs, von Speichern und Access Points, während unsere Steaks auf dem Grill brutzelten.
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