Die Kurven der schönen Dauphine findet jeder heute noch schön und schon damals bildete ich mir ein, dass ihr jeder nachsah. Für mich war sie das schönste Auto der Welt. Sie war nicht groß, aber sie wuchs sich zu einer wahrhaft großen Limousine aus, wenn man drinnen saß. Die Polster waren rund und weich und schmiegten sich an den Körper an, ganz egal auf welchem Sessel ich saß. Sie hatte zwei kreisrunde Lichter, die aussahen wie neugierige Frosch-Augen und gemeinsam mit der mächtigen Stoßstange und den nach außen geformten kegelartigen Blinklichtern, sowie der runden wohlgeformten Haube, sah die Dauphine aus wie ein französisches Pausbäckchen, das Dir ständig vor Zufriedenheit entgegen gluckst. Es war ein freundliches, sympathisches und menschliches Antlitz, nicht makellos und doch perfekt so, wie es war. Die schmalen Reifen passten sich den Proportionen an und um auch ein bisschen rasant zu wirken, hatte es nach vorn gerichtete Luftauslässe für den Heckmotor. Das Make-Up saß also dezent und doch so platziert, dass es ins Auge fiel. Der wunderschöne kleine, aber runde Hintern formte den Viertürer gekonnt nach hinten ab. Es war einfach ein rundum gelungenes Designerstück, das Auto meines Opas.
Abends, wenn er im Spätsommer damit aus seinem Garten zurückkam, erkannte ich die Dauphine an ihren Lichtern und lief ihr vom Spielplatz aus entgegen, denn ich wusste, dass er mich dann immer noch etwas hinterm Steuer sitzen ließ. Das aus Kunstharz gegossene Lenkrad war hellblau und hatte rundherum für die Fingerform gepresste, glatte Aussparungen, so dass es sich für mich schon im Stillstand anfühlte, als kurvte ich über breite Straßen und endlose Strecken, wenn ich die Augen schloss. Es hatte rechts einen kleinen Winkerhebel für das Blinklicht und links einen etwas größeren für den Wischer. Hinter der kreisrunden Hupe saß ein Kippschalter, von dem ich nie wusste, wozu er gut war, den ich aber grundsätzlich umlegte, damit ich das Gefühl hatte, etwas einzuschalten. An die Pedale kam ich nicht so recht dran mit meinen kurzen Beinen, aber ich erinnere mich genau, dass der zierliche Schalthebel drei Gänge aufwies, die man einlegen konnte.
Wenn alles Gemüse und Obst draußen war, das Opa zu uns nach Hause brachte, damit wir was zum Futtern hatten, war auch meine erträumte Reise zu Ende. Drinnen schnitten wir das Gemüse klein und Opa unterhielt sich mit Mama über dies und das. Vor dem Essen drückte er mir zwei Mark in die Hand und ich nahm den großen Glaskrug vom Tisch und machte mich auf in die Kiezkneipe nebenan zum Bierholen. Es dauerte keine Minute Fußweg bis nach drüben und sie kannten mich schon, wenn ich mit dem leeren Krug die Kneipe reinkam. Das goldgelbe Gesöff sank in den Krug und der Wirt hatte es drauf, mit nur einem Öffnen des Zapfhahns den ganzen Krug zu füllen, ohne den Hahn zwischendurch schließen zu müssen. Dann legte ich meine zwei Mark auf die Theke und balancierte den Krug, den ich jetzt mit zwei Händen fassen musste, in die Stube zurück. Dann waren sie schon im Gespräch miteinander, aber später im Bett dachte ich nie an das Gerede, sondern immer nur ans Fahren mit der Dauphine.
Und dann kam mein großer Tag. Ich war zwölf und es war noch hell draußen, als er vom Garten zurückkam und diesmal nichts auslud, aber mich dafür ein. Ich wollte wissen, wohin es geht, aber er sagte nicht viel, außer dass ich es nur abwarten solle. Die Gegend am Stadtrand, in die wir fuhren, war mir kaum bekannt und alle Ziele bei Verwandten, die ich mir auf dem Weg vorstellen konnte, schieden nach und nach aus, bis wir auf eine vor kurzer Zeit fertiggestellte, riesig breite Industriestraße einbogen, die als Zufahrt zu einer Fabrik diente, aber um diese Zeit wie ausgestorben war. Keinen anderen Autos und keine anderen Personen außer uns. Er setzte den Blinker, der immer so lustig klack-klack machte, fuhr den Wagen rechts an den Straßenrand, stieg aus und kam zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und sagte: „Los, rutsch rüber“.
„Ich darf fahren??“ Da wuchs ich in meinem Stolz und meiner Begeisterung über mich hinaus, mein Puls verdreifachte sich vor Aufregung und ich konnte mein Glück nicht fassen. Ich beeilte mich mit dem Rutschen, bevor er es sich nochmals überlegen könnte, umfasste das Lenkrad und starrte auf die kreisrunde Hupe und den dahinterliegenden Kippschalter, den ich nicht anzufassen traute. Da ich immer noch nicht richtig bis an die Pedalen reichte, schob er vom Beifahrersitz aus seine Füße nach links und wies mich an. Die schöne Dauphine setzte sich in Bewegung, ihre kugelrunden Lichter leuchteten die Straße aus – und ich stemmte mich mit den Füßen leicht vom Boden ab, damit ich übers Lenkrad sehen konnte, wie die Straße unter uns verschwand. Während ich das Lenkrad fest im Griff hatte, zogen die blütenweißen Striche der Mittellinie an uns vorbei und ausgangs der langen Geraden fuhr ich eine traumhaft perfekte Kurve. Nach einer gefühlt endlosen Strecke war die Straße zu Ende, weil sie ins Nichts gebaut war und er wendete für mich den Renault und ich durfte die ganze Strecke inklusive einer gleichfalls perfekten Kurve wieder zurück fahren. Jetzt sogar mit Gas geben, indem ich mich einseitig nach rechts unten langmachte, ohne den Blick von der Straße zu wenden.
Am Ende nahm er den Gang raus, damit ich bremsen konnte. Ganz sachte, ganz langsam und mit viel Gefühl brachte ich die kleine Dauphine wieder zum Stehen. Es war das größte und schönste Geschenk, das ich mir vorstellen konnte und noch Monate später erzählte ich all meinen Mitschülern, dass ich schon selbst Auto gefahren war. Geglaubt hatte mir das freilich niemand.
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