Hey, es gab mal Zeiten, da bemühte sich die Bahn, ihre Statistiken zu schönen. Also, wie viele Züge um wie viele Minuten zu spät seien. Ich glaube, das müssen die heute gar nicht mehr, oder? Würde ihnen doch eh keiner glauben, dass es noch pünktliche Züge gibt. In Japan sollen die Züge, wenn sie verspätet sind, durchschnittlich 50 Sekunden Verspätung haben. 50 Sekunden! Solange braucht hier der Zugführer um sich zu entscheiden, ob der Ausstieg links oder rechts ist! Aber wenn ich morgen wieder Bahn fahre, dann denk ich gern an die gute alte Zeit, als die Bahn nur zehn Minuten Verspätung hatte – oder ein halbes Stündchen. Da wär‘ man heute doch gut mit zufrieden, oder? Früher hab ich mich auch richtig aufs Bahnfahren gefreut. Heute krich-ich-die-Krise.
Das geht schon damit los, dass ich zwar selbst die Verbindungen mit den freien Plätzen auswähle und auch selbst buche, aber trotz aller Fahrpreiserhöhungen immer noch ’nen Fünfer extra für die Reservierung der Sitzplätze hinlegen muss. Als ob man mit dem Fahrpreis nicht automatisch auch einen Sitzplatz verknüpfen könnte – wie es beispielsweise in Japan der Fall ist. Aber nur, weil ich im Online-Verfahren selbst die Verbindungen kreuz und quer prüfe und ohne Beratung einer Fachkraft meine Karten kaufe, sonst wäre es ja noch teurer. Kaum zu glauben, dass es mal Zeiten gab, in denen man sich die Karte am Fahr-Karten-Schalter kaufen konnte. Und zwar ohne, dass es noch extra was kostet. Der Fahrkartenschalter hieß so, weil er genau dafür da war. Heute muss ich mich im sicherheitsgeprüften Bahn-Spezial-Ident-Verfahren im Zug ausweisen und eine Passwort/User-Kombi mit mindestens acht gemischten Groß- und Kleinbuchstaben und Sonderzeichen und Zahlen für meinen Online-Zugang merken, die ich natürlich prompt jedes Mal vergesse. DakrichichdieKrise.
Neulich musste ich mir im Hauptbahnhof mal zwei Stunden die Zeit vertrieben, weil der Anschlusszug wegen Signalstörung, polizeilichen Ermittlungen oder technischer Störung ausfiel – hab’s einfach vergessen. Der Berliner Hightech-Lokschuppen hat zwar fünf Ebenen, 120 Fachgeschäfte und mindestens vier Uhren versteckt, aber weniger als 24 funktionierende Schließfächer, die natürlich prompt alle belegt waren. „Nutzen Sie auch unsere Gepäckaufgabe in Ebene 1“, stand da. Also bin ich vier Etagen höher – das heißt in Berlin dann Ebene 1 – und da kostet dieser außergewöhnliche Bahnservice wieder fünf Euro extra – und zwar pro Tasche! KrichichdieKrise. Aber sowas von.
Natürlich wird’s auch morgen wieder Verspätungen geben. Nach all den Jahren ist mir völlig unverständlich, wie die Bahn überhaupt noch pünktlich sein kann. Jetzt, wo es so schöne Gründe wie „Verspätung eines vorausfahrenden Zuges“, „Reduzierte Geschwindigkeit wegen Sturms“ oder „Störung fahrzeuggebundener Einstiegshilfen“ gibt. Die einzige Erklärung für pünktliche Züge muss im Regionalverkehr zu finden sein. Also zwischen Orten wie Fickmühlen oder Debbenstedt und nein, diese Ortsnamen sind nicht erfunden! Da schaffen die mitunter 100%. Aber wenn sich an manchen Tagen alles gegen einen verschworen hat, bist Du am Ende froh, überhaupt noch ans Ziel zu kommen. Krisesachichnur.
Ich befürchte auch, dass außer den Computerstimmen niemand mehr dort arbeitet. Früher sagte der freundliche Ansager: „Der I-C-E-1-2-3 fährt heute… 40 Minuten später. Wir bitten um Verständnis“. NEIN, dachte ich da immer! Hab‘ ich kein Verständnis für! Wofür denn? Wenn jemand die Oberleitungen geklaut hat, ja DA hab ich natürlich Verständnis für die Verspätung. Aber ich hab doch nicht Verständnis für die Verspätung als solche. Ich bin ja auch nicht früher nach Hause gekommen und sagte: In Mathe hab ich ne Fünf; ich bitte um Verständnis! Ich musste dann schon erklären, warum ich diesmal nicht abschreiben konnte. Aber jetzt ist natürlich alles viel besser geworden. Denn heute sagt eine Computerstimme: „Der I-C-E-1-2-3 verspätet sich heute außerplanmäßig um 40 Minuten. Beachten Sie das geänderte Gleis, die umgekehrte Wagenreihung, das fehlende Bordbistro und die Sperrung der ersten drei Waggons wegen einer defekten Klima-Anlage. Grund ist eine außerplanmäßige Geschwindigkeitsbeschränkung sowie Personen im Gleis im Großraum Hannover. Da hat man ja Verständnis, wa? VolldieKrise!
Apropos Klimaanlage. Unbedingt rechtzeitig vor Fahrtantritt an die Impfung denken!
Und anfangs fand ich „Sänk ju for träwelling“ noch ganz lustig. Was haben wir uns über das Denglisch immer lustig gemacht. Aber inzwischen kultivieren die das richtig. Ich bin davon überzeugt, dass nur Zugführer werden darf, wer das möglichst genau so spricht. Die höheren Weihen bestehen jedoch darin, das ganze beispielsweise mit sächsischem Dialekt zu mischen: „Wellkomm in se EI-SI-IE tu Mannheim weia Dräsden, Ärfurt, Gära“. Und jetzt lass erst mal was völlig Unerwartetes passieren! „Meine sähr geährten Damn unn Härrn. Weeschen eines deschnischen Defektes wärn die Waachn 31-39 vom Zuuch abgegoppelt. Lädies end Schäntelmän…(Pause)…(sehr lange Pause)… se cars …. (ganz lange Pause)… ahr brohkn …. (NEIN, ich fass es nicht)… plies oal lief se cars…“ Und Ich? KrichKrise!!
Aber mein immer wiederkehrendes Lieblingsereignis ist, dass in dem ganzen Großraumwagen – wo sind nur die schönen Abteile von früher hin mit den tollen dicken Polstern, die man ausziehen konnte? – immer genau EIN Kleinkind den ganzen Laden unterhält. Grundsätzlich. Ich kann mich auch bewusst in einen kinderfreien Wagen setzen: Prompt kommt jemand mit einem kreischenden Kleinkind oder eine Mutter mit zwei Gören hinzu, die unentwegt den Gang rauf und runterrennen und fünfundsiebzig mal „Wannsindwirda? Wannsindwirda? Wannsindwirda?“ fragen. IchkrichsowasvondieKrise.
Mütter! Ich hab nichts gegen Eure Plagen. Von mir aus könnt ihr alle mit dem ICE nach Fickmühlen fahren! Reservierung nicht vergessen! Aber wieso um alles in der Welt kommt niemand auf die Idee, Familien-Waggons für Kleinkinder einzurichten? Da könnten die lärmen bis der Wackelpudding kommt. Ich würd‘ die Wagen noch extra bunt einrichten, so mit Spielburgen, Sponge-Bob-Sitzen und Kinderhörspielen bis der Arzt kommt. Ich zahl eh‘ schon Schmerzensgeld bei der Bahn. Und dafür würd‘ ich tatsächlich noch mal fünf Euro drauf legen, damit die freundliche Bahntante mit den Kleinen „Sänk ju for träwwelling“ übt. Bloß lasst mich ab und an in Ruhe die Zeitung lesen oder aufs Komfort-Klo gehen. Wenn es denn mal funktioniert! Echt. Krise – sag ich nur. Echt.
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