Die Rollenden Steine

Es gibt derer einige, die mich mein ganzes Leben lang musikalisch begleitet haben, aber wenn man sie darauf begrenzt, welche ich schon als Kind kannte und trotzdem heute noch aktiv sind – dann wird es eng. Und in zehn Jahren wird niemand mehr übrig sein, selbst die Rolling Stones nicht und das ist keine gewagte Prognose. Die Stones nahm ich zum ersten Mal bewusst wahr, als etwa 1975 irgendwo „(I can’t get no) Satisfaction“ lief und ich hielt es für einen aktuellen Song, weil man ihn oft hörte. Aber tatsächlich stammt der Song aus meinem Geburtsjahr 1965 und lief trotzdem zu allen Gelegenheiten. Schon bald konnte ich mitsingen, obwohl ich noch nicht mal Englisch in der Schule hatte, aber das Gitarrenriff war einfach zu geil und alle anderen gröhlten ja auch mit. Ich kannte auch niemanden, den das nicht begeisterte. Danach dauerte es etwa ein Jahr, bis ich den nächsten Song der Stones kennenlernte und das war mit „Lady Jane“ auch nicht gerade der aktuellste Titel. Aber einer, den ich abgöttisch liebte. Schon 1966 singt Mick Jagger darin einen lyrischen Text, sehr präzise artikuliert und eindringlich zu einer von Brian Jones mit einer Gänsefeder(!) gespielten „Dulcimer“, einem mittelalterlichen Instrument. Der Sänger berichtet von seiner Liebe zu einer Lady Jane, für die er Lady Anne und eine gewisse Marie sitzen lässt – und zwar in einer völlig untypischen alt hergebrachten Sprache und dermaßen weit weg vom gewöhnlichen Bluesrock der Stones, dass man meinen könnte, der Song könne unmöglich von dieser Band sein. Ist er aber. Und wenn man diese beiden Songs, Satisfaction und Lady Jane, nacheinander hört, kriegt man einen ordentlichen Eindruck von der musikalischen Bandbreite der Combo. Und das machte mich total neugierig, was es noch so von den Engländern zu hören gab. Und von da an war es bei jeder neu gehörten LP wie eine Offenbarung, weil einfach jeder einzelne Song anders war als der vorige. Ich meine, man muss sich nur mal die 1966 erschienene „Aftermath“ anhören, was man auf Deutsch wohl mit „Nachwirkung“ übersetzen würde. Wer über den geringsten Draht zu Rhythm’n’Blues, Rock’n’Roll und Storytelling verfügt, muss sich einfach in diese Platte verlieben! Allein „Mother’s Little Helper“ ist ja wohl ein Knaller, der hundertfach kopiert den Weg zu den berühmtesten Refrains aller Zeiten gefunden hat. „And if you take more of those, you will get an overdose. No more running for the shelter of a mother’s little helper. They just helped you on your way, through your busy dying day …

Oder 19th Nervous Breakdown! Das war ziemlich genau 10 Jahre, bevor ich die Stones überhaupt entdeckte. Also gab es eine Menge Schallplatten und fantastischer Songs zu entdecken, bevor sie mich mit „Miss You“ und dem unsterblichen „Start me up“ begeisterten und von nun an waren sie aus meinem Leben einfach nicht mehr wegzudenken. Ich begann damit, mein Taschengeld und später mein Lehrgeld für alle Scheiben der Stones, die ich ergattern konnte, auszugeben. Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag, als ich im damals völlig angesagten „Zweitausendeins“, einem Sammelsurium von aufgekauften Restposten aus Büchern und Schallplatten, endlich die Sticky Fingers entdeckte, die letzte mir noch fehlende Platte in der Sammlung. Endlich und ungefähr genau zu meinem achtzehnten Geburtstag, hatte ich alle fünfzehn Alben zusammen. Am allermeisten mochte ich das Doppelalbum „Exile On Main Street“, aber es gab auch keines, das ich „am wenigsten gern hörte“. Vielleicht waren für meine Ohren, die genau wie alle anderen meines Alters mit Disco-Musik verklebt waren, die 65er Lieder ungewohnt, weil sie in Mono und oft schlecht und verzerrt abgemixt waren, aber die Songs mochte ich ganz genau so, wie das discohafte „Emotional Rescue“ von 1980, zudem ich mich auf der Tanzfläche so schlangenartig bewegte, wie Mick Jagger selbst. Ich liebte einfach alles von den Stones und ich fragte mich oft, warum sie in der BRAVO so selten waren, während die längst getrennten Beatles ständig drin waren. Eine Ausgabe beschäftigte sich absurder Weise mit einem Vergleich zu einer Teenie-Band namens Bay City Rollers. Spätestens seit meinem achtzehnten Lebensjahr, wurden die Stones für mich eine absolute Inspiration – und zwar für einfach alles! Ich liebte die Texte und verwandte die Ideen auf meine eigenen Lebenssituationen: Es stimmte einfach so vieles darin für mein eigenes Leben, dass mir absolut klar war, dass ich sie nie verlassen würde – und sie mich auch nicht.

An 1986 erinnere ich mich, weil ich in der Ausbildung zum Zivildienst einen Film namens „Rolling Stones – Die ersten zwanzig Jahre“ sah und wir alle scherzten darüber, weil der Titel suggerierte, es könnten nochmal zwanzig Jahre werden. Und heute sind es nochmal vierzig mehr geworden. Und das war uns damals einfach unvorstellbar. Die nächsten zwanzig Jahre aber, blieben die rollenden Steine ein enger Begleiter in meinem Leben. Ich sah dem jeweils nächsten Album ungeduldig entgegen und ich sah sie insgesamt drei Mal live und bei allen drei Konzerten sind mir exakte Details in Erinnerung. Wie sie 1990 im Frankfurter Waldstadion rockten und links und rechts vom Bühnenbild zwei riesige, circa fünfzehn Meter große Frauen mit Fußbällen in der Hand über dem Publikum wippten und wie Jagger mit dem Aufzug nach oben fuhr, um unter einem sternenklaren Nachthimmel „Sympathy For The Devil“ zu singen. Oder 1996, als sie im Müngersdorfer Stadion in Köln die Voodoo Lounge Tour zeigten, wo ein riesiger Drachenkopf über der Menge Feuer spuckte – und zwar heftig, dass wir die Hitze in den Haaren spürten. 1999 sah ich sie ein drittes Mal in Mannheim während der Bridges to Babylon Tour und damals dachte ich schon: Die machen es jetzt aber nicht mehr lange. Da war Bill Wyman schon seit sechs Jahren als Bassist ausgestiegen und auf dem Maimarktgelände fuhren die Stones einen hundert Meter langen Steg aus, auf dem die Glimmer Twins bis weit ins Publikum hinein spielten, was ziemlich eindrucksvoll aussah. Dass es danach nur noch drei Studio-Alben und einige Sampler und Liveaufnahmen zu kaufen gab, schadete ihnen nicht mal. Live waren sie einfach unschlagbar.

Ich kenne auch unzählige Dokus und Details aus ihrer Bandgeschichte und ich denke, ich würde als Telefonjoker was taugen, wenn ich mir die ganzen Rolling Stones Bände zuhause betrachte. Charlie Watts mochte ich stets am meisten. Er hatte einen deutlich erkennbaren Stil als Drummer, der vom Jazz her rührte und dessentwegen er häufig von den „echten“ Rock’n’Roll-Schlagzeugern belächelt wurde. Ich habe mich oft gefragt, wie er all diese Kapriolen, Skandale, Drogen, Achterbahnen und Streitigkeiten überstanden hatte und immer noch so unaufgeregt im Hintergrund konzentriert seinen Stiefel runterspielen konnte. Keith Richards und Mick Jagger waren für ihre unerreichte Exzentrik berühmt und Ron Wood, der erst 1975 dazu kam, war zwar zweifelsfrei ein guter Gitarrist, aber meines Eindrucks nach lag sein wesentlicher Verdienst darin, die Stones beisammen zu halten. So oft, wie die Glimmer Twins aneinander gerieten, tat es der Band gut, dass ein Jüngerer durch sein unbekümmertes Verhalten die Konflikte deeskalierte. Außerdem war er ein treuer Sauf- und Raufkumpan von Keith, der bei ihm sicher eine Menge seines Frusts ablud. Andererseits scheint es ein medizinisches Wunder, dass Richards überhaupt noch lebt. Ich glaube, wenn auch noch der mindestens genauso exzentrische Alphamusiker Brian Jones überlebt hätte, hätten sie sich wahrscheinlich schon in den Siebzigern aufgelöst – oder gegenseitig umgebracht. Wie dem auch sei, das hier wollte ich einfach mal aufschreiben: Ihr wart mir stets ein treuer Begleiter und selbst Euer letztes Album, auf dem schon die Hälfte Eurer Startformation nicht mehr mitmachen kann, weil sie Euch nicht überlebt haben, finde ich ganz ansprechend. Danke für alles!
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