BILD: Von Maroc_Marrakech_Jemaa-el-Fna_Luc_Viatour.JPG: Lviatourderivative work: Massimo Telò – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet: Maroc Marrakech Jemaa-el-Fna Luc Viatour.JPG:, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28338024
Les aventures marocaines (2)
Les aventures marocaines (1).
Aus den marokkanischen Tagebüchern, Teil 3: Marakesh
Bekleidet mit Sandalen, kurzen Hosen und T-Shirts, aber mit riesig schweren Rucksäcken bepackt, wanderten wir vom Busbahnhof aus in Richtung unseres Hotels und wie an jedem Tag in diesem marokkanischen Sommer war es irrsinnig heiß. Die wenigen Straßenpalmen warfen nur spärlich Schatten. Von mehreren Seiten kamen Kinder an, Mädchen und Jungs, acht oder neun, die uns umringten. Einer wollte uns was verkaufen, der Zweite löcherte uns mit Fragen, die Dritte laberte auch was drauf los und überhaupt sprangen sie immerzu im Kreis, zerrten hier am T-Shirt, dort am Rucksack, dann hielten sie uns wieder irgendwas zum Kaufen hin. Sie kreisten um uns wie die Satelliten um Planeten und allein schon dieses Geschrei machte einen fahrig und NEIN, wir wollten keine Ketten kaufen und auch sonst nichts und wussten auch, in welcher Richtung unser Hotel lag, aber immer wieder tauchte ein neues Gesicht vor unseren Nasen auf. Sie liefen so lange unentwegt lärmend um uns im Kreis herum, bis ich Paul sagte, ich steige jetzt in DIESEN Bus dort drüben, damit das aufhört und dann waren wir endlich im Bus und die kleinen Räuber waren weg und meine Zigaretten, mein Feuerzeug, das Kleingeld aus den Hosentaschen und der Stadtführer auch. Trotzdem hatten wir Glück. Wir hatten auch unsere Traveller-Checks, noch mehr Geld und unsere Reisepässe dabei, aber das war alles gut versteckt. Alles, was in unseren Außentaschen steckte, war eben ein leichtes Ziel und im Nachhinein war es eine sehr gute Lektion, die möglicher Weise größere Verluste verhinderte.
Wir wohnten sehr zentral und so hieß es auch, unser Hotel: Das Hotel Centraal mit Doppel-A. Für marokkanische Hotels war es sogar etwas teurer, also sieben oder acht Mark statt drei oder vier pro Zimmer! Und wir lebten uns dort gut ein. Statt das Hotel zwischendurch zu wechseln, wie wir das in den anderen Städten gerne machten, blieben wir dort die ganze Zeit über. Wir fühlten uns wohl dort, weil alles eine große, selbstverständliche Gelassenheit ausstrahlte. Es war der perfekte Rückzugsort, wenn wir wieder mal überwältigt von den Eindrücken draußen waren. Sie hatten einen fantastisch riesigen Gummibaum im grünen Innenhof, der bis über die obere Etage und das Dach des Hotels ragte und der verlieh dem ganzen Ensemble was Ruhiges, Majestätisches, Gartenhaftes und wenn wir von einem langen Tag verschwitzt zurück kamen und etwas Ruhe und Zeit brauchten, um uns zu sammeln, dann saß ich gerne im Schatten des Baums, schaute mir das Lichtspiel der Sonne durch das Blattwerk oder das Treiben der anderen Gäste oder das schöne Mosaik an und genoss den frischen Pfefferminztee.
Außer der frischen Nana-Minze gab es noch zwei weitere Getränke, die zum täglichen Bedarf gehörten. Zum Einen hatten wir uns jetzt auf das „Sidi-Harazim“ Wasser eingependelt, weil die Tage unfassbar heiß waren und das Thermometer grundsätzlich nie weniger als 35 Grad anzeigte. Täglich gingen sechs bis sieben 1,5-Liter-Flaschen drauf. Trotzdem musste man einfach nie aufs Klo. Das Wasser floss immer nur rein, aber nie raus. Es war eine Glaubensfrage, auf welche der beiden Wassermarken man stand: Die Hälfte der Nation vertraute dem „Sidi-Ali“ Wasser und die andere eben dem „Sidi-Harazim“. Und da wir inzwischen echte Experten waren, konnten wir kaum glauben, dass jemand das Ali-Wasser dem Harazim vorzog. Außerdem liebten wir unseren frisch gepressten Orangensaft. Herrlich gekühlter, köstlicher, fruchtig-frischen Obstsaft, den es keine dreihundert Meter vom Hotel, rund um den zentralen Marktplatz der Stadt gab. Der Platz war umsäumt mit Ständen, wo sie aus einem nicht endend wollenden Vorrat an Orangen frischen Saft pressten. Das Witzige daran war, dass diese ganzen Stände – es waren mindestens dreißig oder mehr – alle die gleichen Orangen verarbeiteten und sich höchstens darin unterschieden, welche Standnummer sie hatten, wie schnell der Verkäufer mit dem Saftpressen war oder wie kühl der Saft war, den man für seine Dhirams kriegte. Wenn man seine eigene, leere Sidi-Harazim-Flasche mitbrachte, füllten sie 1,5 Liter frischen und kühlen Saft dort ein. Ich erinnere mich genau daran, wie gut es unter der heißen Sonne schmeckte, für das bisschen Geld diesen frischen Orangensaft zu trinken. Und egal, bei welchem Stand man kaufte, der Verkäufer sagte immer: „Merk Dir diese Nummer: Nummer 27 (oder 31 oder 14 oder 3), nur hier gibt es den besten Orangensaft“. Wir steuerten sowieso immer auf den ersten zu, der gerade auf dem Weg lag, aber das Werben hörte nie auf: „Merk Dir die 27!!“, rief einem der Saftpresser nach. Oder die 31 oder die 14 oder die 3.
Je länger wir am zentralen Marktplatz, dem Djemaa-El-Fna wohnten, desto mehr wurden wir Teil dieser Stadt. In finsteren Zeiten hängten sie hier die Diebe. Daher hatte der Platz seinen Namen: Djemaa-El-Fna. Der Platz der Gehängten. Jetzt war es das Herzstück der Stadt. Das Epizentrum des Handels. Und am Anfang war noch alles was wir erlebten, jede Menschenansammlung, jeder Marktstand oder jede neu entdeckte Handelsstraße im Souk, dem überdachten Labyrinth der Händler neu, beeindruckend, orientalisch und spannend. Aber je länger wir in der Stadt lebten, umso gewohnter wurde das Marktgeschrei und der ganze Trubel um uns. Wir entdeckten besondere Ecken jetzt schneller wieder, trafen bekannte Gestalten wie den Zauberer, den Artisten, den Feuerschlucker, die Musiker oder den Hufschmied, mit dem ich gerne plauschte, weil er die Deutschen sehr mochte. Der Nougathändler gab uns täglich Neues zum Probieren, die Angestellten aus den Restaurants und die Saftpresser kannten uns. Sogar der Feuermacher, der auf der Platzmitte jeden Abend das zentrale Feuer entfachte, winkte uns zu. Auch die Kinderbande, die uns am Anfang überfiel, sah ich mehrmals wieder und es sah fast so aus, als ob sie mich grüßten, wenn wir uns sahen. Wir waren längst kein attraktives Ziel mehr für sie. Nur Touristen laufen derart aufgeregt durch die Straßen, wie wir es am Anfang taten. Außerdem konnte ihnen nichts passieren. Der Djemaa-El-Fna hatte seinen historischen Schrecken verloren, aber ich hörte mehr als einmal, dass sie den erwachsenen Dieben noch immer die Hand abhacken.
Wegen der Hitze in der Stadt gab es zwei Phasen, in denen das Leben auf Touren kam. Die Erste verschliefen wir meist, aber es hatte auch was, von der Terrasse des riesigen Cafés „Europa“ dem gemächlichen Leben am Vormittag zuzusehen. Wenn die Hitze am Nachmittag abnahm und die sanfte Abendsonne den Platz in ein rötliches, warmes Licht tauchte, erst dann begann die Stadt vollständig zu erwachen. Jetzt bauten die Orangensaft-Stände ab und der Djemaa-El-Fna füllte sich mit Leben. Hunderte von Menschen kamen aus den umliegenden Vierteln. Sie wuselten jetzt durcheinander, liefen in den Souk oder kamen aus ihm heraus und eine unübersichtliche Gemengelage an Händlern, Garküchen und allerlei Musik und Darbietungen beherrschte die Szene. Es war eine echt schwierige Entscheidung, sich jeden Abend für ein Essen zu entscheiden, weil alles so fantastisch duftete und super lecker aussah. Es roch nach Ziegen- und Hähnchen- und Lammfleisch, es gab Unmengen an Gemüse, orientalische Gewürze, frischer Knoblauch und Zwiebeln, überall Tee, aber am häufigsten den typisch marokkanischen Pfefferminztee. Wenn man welchen bestellte, musste man darauf achten, dass sie einem auf die kleine Zwei-Tassen-Kanne keinen ganzen Zuckerkegel reinstopften, denn sie mochten es wahnsinnig süß. Ich hingegen hatte mich in die Harira-Suppen verknallt. Alles, von der Suppe über den Hauptgang bis zu einer unendlichen Auswahl an frischem Kuchen, alles wurde vor unseren Augen zubereitet. Ständig kam irgendwer und zeigte was er mit Feuer oder Schwertern drauf hatte oder wie er Schlangen bändigt oder sonstwas zaubert. Überall Musik mit teils sonderbaren Instrumenten. Schmuckhändler. Gürtel. Tücher. Alles zog an einem vorbei. Wir lernten, „auf marokkanisch“ nein zu sagen und trafen jeden Abend jemanden zum Plaudern. Begleitet vom durchgehenden Takt der Trommeln. Das war der Basis-Sound des Platzes, vom Abend bis spät in die Nacht hinein.
Nirgendwo in Marokko lernte ich mehr Einheimische kennen, als hier in Marakesh. Sie waren alle und ständig daran interessiert, wer wir sind und woher wir kommen, was wir hier machen und wo wir dann hingehen. Sie interessierten sich einfach für die Menschen, die sie besuchen und sie liebten es, unsere fremde Sprache zu hören, wenn wir miteinander sprachen. Jahre später traf ich sie wieder: Den Trommelmacher, den Gerber, den Saitenspanner, den Blumentöpfer, den Hufeisenbeschläger oder den Kaftanbesticker und es war ein bisschen so, als käme ich nach Hause. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein gebürtiger Marakeshian es in Köln-Hürth, Wuppertal-Elberfeld oder Berlin-Neukölln aushält, ohne sich permanent nach seiner Heimat zu sehnen. Und als wir uns damals verabschiedeten, um unser Abenteuer in Richtung des umliegenden Atlas-Gebirges fortzusetzen, mussten wir auf dem Weg zum Busbahnhof ein Dutzend Mal erklären, warum wir weiterziehen. Das Hotel Centraal gibt es übrigens noch. Und es sieht immer noch genau so hübsch aus, wie vor dreißig Jahren. Es heißt jetzt „Central Palace“ und hat noch ein Stockwerk mehr als damals. In meinem Kopf würde es sich, genau so wie der Djemaa-El-Fna, sowieso nie verändern. JETZT gerade; bin ich dort.
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