Es begann harmlos. Ab und zu wachte ich davon auf, wartete bis der Schmerz wieder vorbei war und schlief dann wieder ein. Das passierte nicht sehr oft und hielt nie sehr lange an. Aber dann wurde es regelmäßiger und ich begann, das Kopfweh mit Aspirin zu bekämpfen. Manchmal eine halbe Aspirin, manchmal versuchte ich es ohne, manchmal die ganze Pille. Aspirin half mir gegen alles Mögliche, deswegen machte ich mir keine Gedanken. Menschen gewöhnen sich an alles. Nachdem ich mich eine Weile dran gewöhnt hatte, wurde es heftiger und ich brauchte in manchen Nächten zwei Tabletten. Dann konnte ich wieder einschlafen.
Ich arbeitete damals in der Fabrik. Wir produzierten Getriebegehäuse und ich wuchtete jede Nacht 144 von diesen 12 Kilo-Teilen von einer Box in die nächste. Es gab Früh-, Spät- und Nachtschichten. Wenn ich nachts arbeitete, ging es. Wenn ich aber morgens nach Hause kam und erschöpft einschlief, dauerte es immer so zwei bis drei Stunden und dann war ich wach, weil mir der Kopf wie bekloppt wummerte. Ich nahm meine zwei Aspirin, aber irgendwann funktionierte auch das nicht mehr. Es wurde heftiger, die Schmerzattacken kamen häufiger. Ich fand heraus, dass sie im Sitzen schneller nachlassen, als im Liegen. Aufstehen und Herumgehen löste mit jeder Erschütterung ein Erdbeben aus.
Es konnte so nicht weitergehen. Ich ging zum Doc, mit dem ich befreundet war. „Ich kann nichts für Dich tun“, sagte er. „Geh zum HNO und lass Dir diesen Mund-Nase-Rachen-Raum mal untersuchen. Vieleicht ist es eine Sinusitis, die dir die Kanäle verstopft“. Es erschien mir logisch. Es erschien ihm logisch. Also ging ich zum HNO. Und der HNO sagte: „Okay, wir haben hier was drin, aber die Schmerzen sind dafür nicht typisch. Es muss was anderes sein. Lassen Sie sich bei Augenarzt untersuchen, gehen sie zum Orthopäden, machen Sie Sport, machen Sie dies, machen sie das.“ Und ich glaubte ihm, was blieb mir auch übrig? Ich machte alles ganz genau so, wie mir geraten wurde und lief von einem Arzt zum nächsten. Insgesamt fünf Experten.
Vor der Frühschicht saß ich jede Nacht in meinem Wohnzimmer-Sessel, halb dahin dämmernd und wartete darauf, dass die Tapes wirkten, um nach drei Stunden wieder ins Bett zu kriechen. Tagsüber waren sie nie da. Aber jedes Mal, wenn ich schlafen ging, wusste ich: Nach zwei oder drei Stunden Schlaf, wenn ich so richtig tief drin war, würde mich etwas mit heftigen Hammerschlägen im Kopf wecken. Wenn du das mal eine Zeit lang mit machst, schläfst Du wie ein Toter ein und wachst wie ein Zombie wieder auf, gequält, genervt, übermüdet und körperlich am Ende. Nach vier Wochen war ich bei fünf Aspirin pro Anfall und kurz davor, wahnsinnig zu werden.
Die Ergebnisse der sogenannten Experten brachten nichts zu Tage. Ich war inzwischen geübt darin, meine Leiden detailliert zu beschreiben in der Hoffnung, dass irgendeinem Spezialisten schon was dazu einfällt, aber anscheinend war ich kerngesund. Ich ging zum Neurologen und der scannte mir den Kopf in Scheiben. Dann wurde ich in eine andere Röhre geschoben und sie schnitten mir den Körper in Scheiben. Nichts. Kein Schwein fand irgendwas. Ich hätte alles getan, damit dieser Wahnsinn eine Ende hat. Also ging ich auch in die Klinik, wie sie es mir sagten. Ich folgte wie ein Schaf dem Hirten und wie ein Schwein dem Schlachter und ich sagte zu allem Ja und Amen. Für chronisch Kopfschmerzkranke gab es Betten in der Klinik. Die Wartezeit betrug zwei Monate.
ZWEI MONATE! So lange konnte ich es auf gar keinen Fall aushalten. Ich überlegte mir, wie ich am besten damit Schluss mache. Gegen eine Mauer fahren. Schlaftabletten schlucken. Vor den Zug springen. Aber dann erinnerte ich mich wieder daran, dass ich im Zivildienst auf einer Intensivstation gearbeitet hatte und wir mit genau diesen Kandidaten um ihr Leben kämpften, weil sie es nicht richtig zu Ende brachten. Verdammt. Einen sterben zu sehen, ihn anschließend zu waschen, die Versorgungsschläuche zu ziehen, die Maschinen zu reinigen und den Toten in den Keller zu fahren war einfacher, als sie in Spezialbetten mit all dem Gepiepse liegen zu sehen. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Aber irgendwie musste es doch aufhören. Es musste einfach.
Ich hatte mir inzwischen angewöhnt, nachts auf den Fernseher zu glotzen, ohne den Kopf zu bewegen. Ich lernte die ganzen Serien kennen, die nachts liefen und das machte es noch schlimmer. All den Scheiß, den man tagsüber nicht zeigen konnte, weil es noch schlechter war, als das, was ohnehin schon aus diesem Apparat rausquoll. Aber es war die einzige Therapie. Hinsetzen, sich ablenken, abwarten. Jede einzelne Nacht wurde ich wach vom Schmerz, richtete mich in Zeitlupe auf und versuchte den Kopf gerade zu halten. Dann stolzte ich kerzengerade ins Wohnzimmer, wo mir sogar das Absenken in den Sessel weh tat. Ich goss mir Wasser ein ohne Hinzusehen, spülte fünf Aspirin runter, schaltete die Glotze ein, vermied es den Kopf zu neigen, setzte mich hin und wartete. Ich litt inzwischen unter einem solch extremen Schlafmangel, dass ich auch tagsüber wie ein Zombie aussah. An Arbeiten war schon bald nicht mehr zu denken.
Dann fing ich an, langsam durchzudrehen. Ich schlief mitllerweile nur noch zwei bis drei Stunden pro Nacht und das etappenweise im Sessel, weil ich so den Schmerz besser kontrollieren konnte und in manchen Nächten blieb ich einfach wach, wenn ich es durchhielt. Eine Reihe von vorbereitenden Tests in der Neurologie stand an. „Wie geht es Ihnen?“, fragte der Arzt. „Ich will, dass es aufhört“, sagte ich. Er legte mir eine Erklärung vor, in der stand, dass sie mir Nervenwasser aus dem Rückenmark ziehen. Wenn alles gut ging, würde es bloß weh tun. Wenn es schlecht lief, sei ich gelähmt. Ich unterschrieb es. Ich unterschrieb einfach alles, was sie mir vorhielten. Diesen Zettel und noch drei weitere, ohne sie zu lesen. Dann kam jemand mit der größten Kanülenspritze, die ich je gesehen hatte und sagte, er werde sie mir jetzt ins Rückgrat hämmern und ich solle locker bleiben.
Das Ergebnis war am nächsten Tag da. Da stand, alles wäre in Ordnung. Dann ging ich zurück zur Praxis vom Doc, meinem Freund und erzählte ihm alles. Alles über die ganzen Tapes und die Nächte und die Schmerzen, die Untersuchungen und die Ergebnisse und auch, dass ich jetzt am Ende sei. Und er sagte: „Ich verstehe einfach nicht, warum die verstopften Nebenhöhlen keine Kopfschmerzen machen sollen. Auch wenn es nur wenig zu sehen gibt: Natürlich kann es dann sein“. Und dann zog er einige Tablettenpackungen und eine Nasenspülung raus und sagte: „Hier. Zieh das mal sechs Wochen durch. Das sollte helfen“. Ich vertraute ihm und zog es durch. Und was soll ich Euch sagen? Genau das war es auch. Nach einiger Zeit wurde es besser und schließlich verschwanden die Schmerzen einfach. Es war harmlos. Eine einfache Sinusitis und die Knoten in meinen Nebenhöhlen verursachten diese heftigen Schmerzen.
Alles, was ich getan hatte, war: Mich darauf zu verlassen, was mir einer der „Götter in Weiß“ erzählt. Und ein Ergebnis nach dem anderen anzuschleppen, das besagte, ich sei kerngesund. Kein Einziger dieser ganzen Ärzte, bei denen ich deswegen stundenlang in Wartefluren rumlungerte, traute sich zu sagen, was er dachte – oder dachte überhaupt darüber nach, dass diese ganzen Ergebnisse nicht zusammen passten, weil es ihrer Meinung nach einfach was zu finden geben musste! Ich frage mich ernsthaft, ob sie überhaupt etwas dachten. Alles, was ich Euch wünschen und raten kann, ist: Lasst Euch nie in die Mühlen von spezialisierten Ärzten drängen. Vertraut Eurem eigenen Verstand und falls das nicht in Frage kommt, sucht Euch jemanden, der es gut mit Euch meint. Fragt keine weiteren Fachidioten, nur weil der Erste es sagt.
Und bleibt gesund!