Songs For Drella

Aus der Serie „Die besten Alben der Rock- und Pop-Geschichte“ – eine subjektive Auswahl.

Heute Teil 9: Lou Reed & John Cale „Songs for Drella“

Teil 8: http://www.wasissn.de/element-of-gaensehaut/

Teil 7: http://www.wasissn.de/tracy-chapman/

Teil 6: http://www.wasissn.de/back-in-black/

Teil 5: http://www.wasissn.de/news-of-the-world/

Teil 4: http://www.wasissn.de/exile-on-main-street/

Teil 3: http://www.wasissn.de/nina-hagen-band/

Teil 2: http://www.wasissn.de/rumours/

Teil 1: http://www.wasissn.de/making-movies/

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Songs for Drella“, ein Tribut für Andy Warhol, dessen Spitzname „Drella“ war, entstand 1990. Ein Jahr, in dem wahrlich eine Menge los war und ebenso, wie ich auf die gesellschaftlichen Umstürze in Ost und West blicke, schaue ich mir heute diese Platte an und denke: 30 Jahre! Es ist kaum zu fassen. Musikalisch hatte 1990 nicht viel zu bieten, an was wir uns heute oder sogar in dreißig Jahren noch erinnern werden. Die Popwelt litt massiv unter den Spätwerken alternder Stars, die sich ewige Wiederholungen leisteten, sowie an Stars und Sternchen, die noch immer die Achtziger feierten oder den Stil der 90er noch nicht prägten. Nur wenige gute Werke überlebten als epochale Schrittmacher, wie AC/DCs „Thunderstruck“, ansonsten dominierte undefinierbar Langweiliges, was MTV und VIVA aber nicht daran hinderte, die Videos rauf und runter zu dudeln. Und man dachte damals, das gehört so.

Als ich „Songs for Drella“ (Drella steht für ein Wortspiel aus Dracula und Cinderella) das erste Mal hörte, ging es mir wie mit allen anderen hier besprochenen Werken: Ich hatte schon beim ersten Hören das Gefühl, gerade etwas ganz Besonderes gehört zu haben und den dringenden Wunsch, das Ganze sofort noch mal von vorn zu hören. Was erzählten die beiden da über Andy Warhol, über ihre gemeinsame Band Velvet Underground und über die Szene, in der Andy Warhol in seiner ‚Factory‘ ihr Mentor und Förderer wurde? Und warum um alles in der Welt machten ausgerechnet diese beiden eine Platte zusammen?

Ähnlich wie bei den Rolling Stones mit Brian Jones oder Genesis mit Peter Gabriel war John Cale für „The Velvet Underground“ ein kreativer Kopf zuviel. Das Geheimnis eines Jahrzehnte lang anhaltenden Erfolgs der bekanntesten Bands wie beispielsweise Queen oder Dire Straits bestand darin, dass es nur einen kreativen Schöpfer geben durfte und sich alle anderen der Band in ihrer untergeordneten Rolle zurecht fanden. Auch die Beatles scheiterten daran, dass es mindestens zwei von ihnen gab. Im Falle der Rolling Stones hätte es auch im Streit zwischen Mick Jagger und Keith Richards zum Ende der Band kommen können und nur, weil sie sich die Arbeit strikt teilten und sich sonst aus dem Weg gingen, überstanden sie die kritische Zeit. Bei Velvet Underground dauerte es nicht mal drei Jahre, bis John Cale die Band 1968 verließ – weil er mit Lou Reed nicht konnte. Und mit Ausnahme eines Konzerts im Pariser Bataclan sahen sie sich satte 24 Jahre (!) lang nicht mehr. Und ausgerechnet diese beiden fanden sich nun zusammen?

Andy Warhol selbst war es, der die beiden wieder zusammen führte – und dazu gab er sprichwörtlich sein letztes Hemd. Am 1. April 1987, anlässlich eines Gedenkgottesdienstes des 38 Tage zuvor verstorbenen Künstlers, Filmemachers und Verlegers, des bedeutendsten Vertreters der amerikanischen Pop Art, sprachen sich die beiden Musiker wieder. Ich kann mir gut vorstellen, dass gemeinsame Erinnerungen an Drella dazu führten, es nochmal gemeinsam zu versuchen. Hier ging es schließlich nicht mehr darum, einer Band zu Stil und Prägung zu verhelfen, sondern eines großen PopArt-Künstlers zu gedenken, ohne den sie nie und nimmer zu den Ehren musikalischer Genies gelangt wären, die sie erfuhren. Trotzdem brauchte es noch einen Dritten, den Maler Julian Schnabel, der die beiden dazu anfeuerte, alle Animositäten sein zu lassen und es einfach zu tun. Und sie machten es gut und gründlich und in einem atemberaubenden Tempo.

Cale und Reed lernten sich 1964 kennen. Nach übereinstimmenden Aussagen beider war Cale, der an Bratsche und Klavier Musik studierte, fasziniert von Reeds Art, Gitarre zu spielen. Er war es, der Reed zu experimenteller Musik inspirierte. 1965 traten sie dann erstmals gemeinsam mit Sterling Morrison und Maureen Tucker als „The Velvet Underground“ auf und präsentierten, befeuert und gefördert vom schon damals bekannten Andy Warhol ein stil- und wegweisendes Album. Warhol war es, der die Band durch die deutsche Christa Päffgen, genannt „Nico“, ergänzte. Sie galt als erstes, deutsches „Supermodel“ mit einer schillernden Vita, die 1995 zu einem vom ZDF in Auftrag gegebenen Kinofilm führte. Warhol war begeistert von ihr und verschaffte ihr mehrere Kinorollen, brachte sie schließlich mit „The Velvet Underground“ zusammen und überredete die Band, ihre Texte nunmehr von Nico singen zu lassen. Tatsächlich war das Debütalbum nicht nur wegweisend für den Independent und noch in den Kinderschuhen steckenden Punk-Sound, sondern wurde wesentlich von Nicos Stimme und Akzent geprägt, der die Platte berühmt machte. Das Cover dazu stylte, na klar, Andy Warhol selbst. Im Übrigen war Nico nicht nur seine Muse, sondern in der Folge auch von Lou Reed, vom oben erwähnten Brian Jones, dem Led Zeppelin-Rocker Jimmy Page und schließlich auch von Leonard Cohen, der wiederum von Andy Warhol für seine „Factory“ umworben wurde. Zurück zu „Songs for Drella“:

Das Album konzentriert sich auf Gesang, Tasteninstrumente, Viola und Gitarren und wurde ein einziges (!) Mal und zwar ohne (!) Publikum, im Dezember 1989 live aufgeführt. Aus diesem Konzert sind auch die zahlreichen Aufnahmen auf Youtube zu sehen. Vermutlich wussten beide, dass sie sich keine weiteren, gemeinsamen Live-Auftritte zutrauten. Das Werk selbst aber, ist einmalig in der Rock- und Popgeschichte und handelt vom Leben und Arbeiten eines großen Künstlers, wie er als Außenseiter in einer Kleinstadt aufwuchs, von der Gründung der Factory, vom Stil und von der Arbeit des PopArt-Künstlers, bis hin zum Tod. Wer nie einen großen Bezug zu Andy Warhol hatte, MUSS sich dieses Album anhören. Erst dadurch wird klar, wie sehr er die musikalische und kunstschaffende, ja sogar die cineastische Welt verändert hat. Erst nach dem Genuss von „Songs for Drella“ wird verständlich, was Warhol über sein Charisma bewegte. Immerhin bescherte er mir und Millionen anderen zwei bleibende Musikalben („Velvet Underground & Nico“ / „Songs for Drella“) und dessen Folgen, zu denen unter anderem das Verfolgen der Karriere Lou Reeds zählt, den ich für einen der größten Musiker und Storyteller unserer Epoche halte. Zu Lou Reeds Schöpfungsreichtum für den Rock’n’Roll schaffen es nur ganz wenige, höchstens zehn Musiker, die derart prägend für die moderne Musikgeschichte sind. Er veröffentlichte zwanzig Solo-Alben und weitere zehn bis zwölf, auf denen er gemeinsam mit anderen zu hören ist. John Cale bringt es sogar auf 52 Musikwerke! Und ihr gemeinsames ist das Beste.

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