Sie schreien mich zu jeder vollen Stunde an. Nichts im Radio ist derzeit so impertinent wie die Lidl- und Aldi-Spots. Fürchterlich nervige Frauenstimmen, die sich schmerzhaft ins Ohr schälen, brüllen irgendwelche Angebote raus. „Cherrytomaten – die 300 Gramm Packung diese Woche nur Einsneunundsiebzig – sie sparen ZWANZIG Cent!!!“ Ich hingegen würde liebend gern zwanzig Cent mehr zahlen, wenn ich mir das nicht mehr anhören müsste, denn zum Abschalten bin ich zu langsam. Doch damit nicht genug. Abgesehen vom Irrsinn, wegen zwanzig Cent zu Aldi zu rennen, schreien diese Stimmen mich nicht nur an, sie duzen mich auch noch. „Komm zu Lidl“, drohen Sie mir, denn „Lidl lohnt sich“. „Die zweihundertfünfzig Gramm Packung Rama zum Knallerpreis von nur neunundsiebzig Cent!!!“, schreit Aldi schrill rum. Grausam! Ganz im Gegenteil werde ich in dieser Woche einen großen Bogen um Aldi machen, aus Angst davor, dass mich die Zippe auch im Markt anbrüllt.
Wer hat denen eigentlich erlaubt, mich auf diese Art zu duzen? Ich ganz bestimmt nicht. Kinder im Vorschulalter duzen einen, weil sie das nicht nicht unterscheiden können. Wenn so ne kleine Kackbratze daher kommt und es nicht besser weiß, dann ist das eben so. Aber hier geht’s nicht um Unwissen, sondern um Kundenbindung, gegen die ich mich nicht wehren kann. Mich hat auch Ikea nicht gefragt, ob sie eine künstlich Nähe herstellen dürfen, indem Sie mir beim Einkauf über die Lautsprecher sagen, „in unserem Restaurant warten heute wieder viele leckere Spezialitäten auf dich“! Was soll das? Wer findet so was cool? Ich möchte nicht geduzt werden. Auch nicht von einer Versicherung und erst recht nicht von einer Bank. Zeitschriften, Plakatwände, Funke, Glotze, überall. Die Liste der mich Duzenden wird immer länger und mir geht das gehörig auf den Keks.
Die Autos werden jetzt auch schon zur Persönlichkeit. Sie werden zu einem „Ich“, das „Dich“ informiert. Für Google, Apple und Facebook bin ich sowieso schon längst „der Klaus“. Sky und Media Markt? Alte Kumpels! Die Polizei ist „da für dich“ und die BVG liebt mich sogar. Selbst meine alten Spezis von der Bundeswehr trauen sich jetzt, aber da kann ich noch großzügig drüber hinwegsehen, die hatte ich seit meiner Verweigerung sowieso abgefrühstückt. Azubis werden grundsätzlich „per Du“ gesucht. Gelernte Kräfte aber auch. Wenigstens vom Stellenmarkt, in dem es um Referenzen und Ausbildungen, um die Fähigkeit zu Respekt und Umsicht geht, hätte ich 'ne Ausnahme erwartet.
Natürlich geht es um die heilige Kuh des Kapitals, aber mich vergraulen sie damit. Scheint sich trotzdem zu rechnen. Wahrscheinlich kaufen statt meiner jetzt drei mehr ein. Ich frage mich, ob außer dem Umsatz sonst noch was Zählbares bei rausspringt. Wird C und A jünger, wenn sie behaupten, „genau dein Style“? Sind die Mitarbeiter von Ikea zufriedener, weil ihr Nervtöter jeden Spot mit dem Sprachfehler „Wuffteft Du son…“ beginnt? Es ist eine einzige Seuche. Das „Du“ verliert durch seine tausendfache Wiederholung den Zweck, den es einst erfüllte, nämlich ein Ausdruck von Freundschaft und Anerkennung zu sein. Nein, ich möchte nicht der Freund von Lidl sein. Auch nicht der der Polizei. Und erst recht nicht der von Facebook. Menschen, die nichts gemeinsam haben, als einer von Milliarden Usern zu sein, mutieren zu sogenannten Freunden, die sich virtuell anstupsen.
Meine einzige Hoffnung auf ein Ende der Qual liegt darin, dass noch andere mit den Füßen abstimmen. Wie bitte? Das klingt altbacken? Ich stelle mich bloß an? I'm out of time?
„DANN GEH DOCH ZU NETTO!!!“
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