Sich selbst mit dem Vorschlaghammer umzuhauen, hat etwas ganz besonderes. Der Moment, indem es passiert und der Hammer auf einen niedersaust, kommt völlig unerwartet und dem noch schnell auszuweichen, ist völlig sinnlos. Man muss es dann zulassen und den Hieb mit voller Wucht entgegen nehmen. Fliehen macht auch gar keinen Sinn, denn Du erkennst ja erst, was Du tust, wenn es zu spät ist. Es ist allerdings sinnvoll, es kein zweites Mal zuzulassen. Allein schon, weil so ein Vorschlaghammer ganz hässliche Wunden verursacht, die nur schwer zu heilen sind. Du überstehst so einen Schlag auch kaum mehrfach und wenn, dann siehst Du am Ende ganz schön alt aus. Aber vor fast zwanzig Jahren nahm ich einen solchen und heftigen Schlag entgegen, ließ den Schmerz wirken und beschloss dann, es mir kein zweites Mal anzutun.
Ich fühlte mich damals seit Wochen unwohl. Ständig dieses Kribbeln in der Kehle. Es war unangenehm, aber es tat nicht weh. Als ob der Kehlkopf auf irgendwas aufliegt, was ständig vibriert. Ich konnte das nicht zuordnen und bekam es mit der Angst zu tun. Ich rauchte seit meinem Sechzehnten eine Schachtel am Tag und wenn es was zu feiern gab, oft mehr. Ich hatte es gründlich satt. Aber was mich anätzte, waren nicht die Fluppen. Ich ärgerte mich über mein Suchtverhalten, die permanente Abhängigkeit von den Dingern und dass ich mir einredete, dass sie schmecken. Ich wusste, dass es nicht stimmte. Es schmeckte nicht, so wie ein grüner, frischer Apfel oder eine rote und reife Tomate nach etwas schmeckt. Ich erinnerte mich an die Bitterkeit und das schreckliche Brennen auf der Zunge, das mit der ersten Zigarette kam. Es war mir klar, dass mich das Gift darin an einen Geschmack glauben ließ. Ich rauchte, wenn ich nervös war und ich rauchte, wenn ich entspannt war. Ich rauchte, wenn ich etwas genoss und ich rauchte, wenn mir etwas unangenehm war, wenn ich mich konzentrieren oder abschalten wollte, wenn ich Langeweile hatte oder wenn es spannend wurde. Es gab überhaupt keinen Grund, nicht zu rauchen. Nie. Ich war ein verdammter Sklave der Droge und ich wusste es ganz genau und ich machte einfach weiter damit.
Und jetzt dachte ich an diese schlimmen Krebs-Geschichten, wo sie diese Verstärker an die Kehle halten, um überhaupt was sagen zu können und ich kriegte diese Bilder einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sie halten eine Art Mikrophon an ihren Hals und die Vibrationen der jetzt stimmlosen Bänder klingen metallisch, künstlich, scheußlich. Ich musste diese Bilder los werden, rief den Doc an und ließ fast zwei weitere Wochen verstreichen, bevor ich ihn besuchte. Mir ging der Arsch auf Grundeis, weil dieses Zittern im Hals nicht aufhören wollte und als ich mir sicher war, dass es nicht mehr aufhörte, nahm ich all meinen Mut zusammen und betrat die Praxis.
„Ich kann nichts für Dich tun, Buddy“, sagte er. „Wir müssen Dich in eine der Kliniken schaffen und hoffen, dass sie Dir in den nächsten drei Monaten einen Termin geben. Sie stecken Dich in eine dieser Röhren und falls sie was finden, musst du nochmal warten, bis Du weißt, ob es Dich erwischt hat“. Es war nicht sehr ermutigend. „Hör zu, Doc“, sagte ich, „ich muss das jetzt wissen, ich halte es nicht mehr aus“. „Ich hab noch ne Idee“, sagte der Doc. Und er erzählte mir von diesem Internisten nebenan, der sich eine sündhaft teure Maschine mit einem winzig kleinen Endoskop gekauft hatte. Und ich sagte okay, ich will da unbedingt hin. „Heute noch“. Mein Doc war ein verdammt guter Kerl. Ich ging seit über zehn Jahren mit meinen Geschichten zu ihm. Und der einzige Grund, warum wir uns nach Feierabend gemeinsam nach nebenan machten, war, dass er sich wirklich Sorgen um mich machte. Die Ärzte tauschten ein paar Sätze Fachchinesisch aus und dann sprühte der andere mir ein Spray in den Hals, warf die Maschine an und sie sahen sich gemeinsam die Bilder aus meiner Gurgel an. Nach einer Weile zog der Internist den hauchfeinen Schlauch wieder raus und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, es sei alles okay und das Kribbeln verschwände mit ein paar Jodtabletten wieder. Ich atmete spürbar auf. „Nochmal davon gekommen“, dachte ich. Und war erleichtert, weil diese ganze Last an Sorgen, die ich mir machte, mit einem Mal von mir abfiel. Ich bedankte mich und machte mich auf und davon. „Kauf Dir Jodsalz!“, rief mir der Doc nach.
Ich nahm die Treppen nach unten mit Leichtigkeit, beschwingt und befreit, dass dieses unangenehme Gefühl nichts mit meiner Sucht zu tun hatte. Als ich unten ankam, regnete es in Strömen. Das Bild trage ich bis heute in mir, wie ich da stehe und mir den Regen betrachte und beschließe, lieber doch nicht nass zu werden. Obwohl es schon weit nach sieben war, war es noch hell und das gab mir Auftrieb, denn ich fühlte mich danach, etwas neu und anders machen zu müssen. Ich blieb im überdachten Eingang stehen und sah mir an, wie der Regen von der Kante des Vordachs auf die Straße klatschte. Es war ein ruhiger und beinahe lautloser Abend, bis auf das friedliche, gleichmäßige Geräusch des herabfallenden Regens. Selbst die Straße blieb vollkommen leer, während ich zusah, wie sich die Straßenrinnen mit Wasser füllten. „Noch mal davongekommen“, dachte ich wieder. Und dann, als ob mich eine fremde Hand führte, griff ich in die Jackentasche, zog mir eine Kippe aus der Packung, steckte sie an, nahm einen tiefen Zug und ließ den Rauch langsam, wie in Zeitlupe, über meine Lippen nach außen gleiten. Unmittelbar danach sah ich ihn auf mich zurasen. Ich wusste, dass es zu spät war, ihm auszuweichen. Aber es tat auch weh genug, um es kein zweites Mal zuzulassen.
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