Ich wollte es einfach wissen und lud jeden ein, der mir einfiel. Leute, mit denen ich gearbeitet hatte, die ich noch von der Schule her kannte, mit wem ich Fußball spielte, wer mich ich im Zivildienst begleitete, wen ich nachts in den Streifzügen durch die City kennenlernte, wer im Kiez angesagt war und sorgte dafür, dass genug Frauen drunter waren. Wenn ich zum Beispiel die Kleine von der Supermarktkasse ansprach, sagte ich ihr, dass sie unbedingt auch alle ihre Freundinnen mitbringen sollte. Damit konnte man nicht rechnen, aber wenn es nur jedes dritte Mal erfolgreich war, müsste das ausreichen. Ich schrieb Einladungen, indem ich aus Zeitungen Schlagzeilen ausschnitt und sie zu einem halbwegs sinnvollen Text aneinander reihte, kopierte sie und brachte sie unters Volk. Es war meine dritte, eigene Wohnung und in den ersten beiden hatte ich es verpasst, es krachen zu lassen. Und damit die hier im Haus wussten, wer zu feiern verstand, setzte ich die fetteste Duftspur, die mir denkbar erschien. Eine Woche vorher hing ich Zettel im Haus aus. Am Briefkasten, am Müllplatz, in jeder Etage, am Hinterhaus und den Eingangstüren. Die Zettel besagten, dass es am kommenden Samstag im Dachgeschoss was zu feiern gäbe und alle einfach gefälligst vorbeikommen sollen, statt sich zu beschweren, weil das eh sinnlos sei.
Zuvor investierte ich in riesige Mengen Chili Con Carne. Da ich nicht ausreichend Pfannen zum Anbraten von zehn Kilo Hackfleisch hatte, kostete es mich fast den ganzen Vortag über, die riesigen Töpfe zu füllen, die ich mir von der Nachbarschaft ausgeliehen hatte. Als der Tag der großen Feier anbrach, roch die Bude wie ein mexikanisches Restaurant. Ich zählte in Gedanken zusammen, wie viele in dieser Nacht auftauchen könnten und kam auf etwa sechzig, wenn die Hälfte der Eingeladenen käme. Umgerechnet auf die Wohnfläche bliebe also für jeden ein satter Quadratmeter Tanzfläche. Das schien mir ausreichend. Dann kaufte ich beim Bäcker zwanzig vorbestellte Baguettes ein und orderte beim Getränkedienst auf Kommission 20 Kästen Bier, Wodka, Anisschnaps, Sekt, klebrigen Likör für die Damen, etwas Cola, Orangensaft, Sangrita und zur Sicherheit einen Kasten Mineralwasser. Den Rest des Tags verbrachte ich damit, Platz zu gewinnen, in dem ich alles was rum lag in und auf die Schränke stopfte. Gegen sieben Uhr abends hing ich die Wohnungstür aus und klebte eine Rolle Raufasertapete an die Wände des Hausflurs, damit sich die Gäste vor dem Eintritt mit den Eddings drauf verewigen könnten. Ich legte was von den Stones auf den Plattenteller und groovte mich mit einem ordentlich bemessenen Drink langsam ein.
Dann ging das los.
Die ersten kamen um acht, was viel früher war, als ich dachte. Aber wenigstens kannte ich sie alle, was man später nicht mehr von allen Besuchern behaupten konnte. Gegen Zehn war die Bude so voll, dass selbst diejenigen, die sonst niemanden freiwillig ansprachen, ums Reden nicht drumrum kamen. So sollte es sein, genauso stellte ich es mir vor und genau deswegen fand diese Feier auch statt. Ich sah es als Sozialexperiment an und begegnete ab und an selbst jemandem, den ich schon ewig nicht mehr gesehen, aber auch gar nicht eingeladen hatte. Dreimal passierte mir das mit Exfreundinnen, was mich aber echt freute, denn ich hatte ihre Telefonnummern verlegt. Auf dem Weg zum Klo konnte ich beobachten, wie eine mir völlig unbekannte Gruppe junger Afrikaner noch vor dem Eingang wieder umdrehte, weil es ihnen zu voll war. Dass sie auftauchten, wunderte mich weniger, denn wir hatten einen ghanaischen Dealer in der Straße, aber dass sie umdrehten war erstaunlich. Alle Fenster der Wohnung waren inzwischen weit aufgerissen, große Dampfwolken schwebten über unseren Köpfen, das ganze Haus roch wie ein Marihuana-Labor. Auf der Tapete im Hausflur zählte ich mehr als hundert Unterschriften. Ich war damit beschäftigt, die Party mit der richtigen Musik zu versorgen und gab einen astreinen DJ ab. Erst kurz zuvor hatte ich mir genau dafür ein Mischpult zugelegt. Gegen Mitternacht tauchte ein kleineres Problem auf, nachdem jemand im Klo verschwunden war, von innen abschloss, aber nicht mehr rauskam. Als das Problem gelöst war, hängte ich auch diese Tür aus. Es kam bei dem erreichten Alkoholpegel nun auch nicht mehr darauf an und man konnte jetzt wenigstens sicher sein, dass es zügig mit dem Entleeren vorangeht. Mehr Sorgen bereitete mir der Boden, von dem der Vermieter zwei Wochen zuvor sagte, er sei stolz drauf und auf dem sich eine dickere, klebrig-flüssige Schicht angestaut hatte.
Gegen zwei Uhr morgens begegnete ich meiner ehemaligen Deutschlehrerin, die mir gestand, sie sei schon immer davon überzeugt gewesen, dass ich mal Großes erreiche. Ich verstand den Zusammenhang nicht, aber mir gefiel das Kompliment. Um etwa halb vier standen zum ersten und einzigen Mal zwei Streifenpolizisten in der Küche. Ich konnte sie nur von weitem beobachten, weil ich nicht bis zu ihnen hin kam. Komischerweise waren sie gleich wieder weg, sie fragten nicht mal nach mir. Ich sah noch, wie einer von den beiden versuchte, wie ein Stelzenvogel die Stiefel abwechselnd von der Klebe zu heben, aber er fand keinen trockenen Fleck, der ihn zufriedenstellte. Nachdem wir die Musiklautstärke etwas reduziert hatten, sahen wir sie nicht wieder. Am frühen Morgen lichteten sich die Reihen und ich schritt sie zur Bestandsaufnahme ab. Die drei Jungs von der Band aus der Kiezkneipe gegenüber waren noch gut am bechern, jemand hatte Berge von Vanille-Eis aus der 24 Stunden-Tanke unten am Marktplatz besorgt. Das Chili war längst alle, aber mit den Resten der Brote und den zwei Marmeladengläsern aus meinem Kühlschrank bastelten wir Frühstückskreationen mit Vanille-Eis. Wenn man stoned ist, schmeckt einfach alles. Das Mischpult war sein Geld wert und ich bewegte den Rest des Fests zum lautstarken Mitsingen von Freddy Quinns „Junge, komm bald wieder!“. Nach einem Blick ins Schlafzimmer registrierte ich, dass man eine Ein-Meter-Breite-Matratze auch zu viert nutzen kann.
Es war kurz nach acht Uhr und längst schon wieder hell, als die letzten gingen. Im Bett schlief immer noch das Quartett und auf der Couch hatte sich eine Frau lang gemacht, die mir bis Mitternacht noch völlig unbekannt war, dann aber dadurch zu glänzen wusste, dass sie einen Kalauer nach dem anderen raus haute. Manche der besten mir heute noch bekannten Witze stammen aus dem Repertoire dieser Frau, die sich später als die enttäuschte Geliebte des Nachbarn raus stellte. Sie hatte sich mit ihm gestritten, verließ seine Wohnung und wurde auf dem Weg nach unten von den Fußballern abgefangen, die sie zum Feiern bei mir überredeten. Dazu hatte sie offensichtlich auch allen Grund, denn einige der wildesten Wodka-Sekt-Kombinationen gingen auf ihre Kappe. Ich ging nochmal aufs Klo, ließ die Wohnungstür ausgehängt, falls noch jemand ungestört rein oder raus wollte, schob die Live-CD von Velvet Underground in den Player, dockte mich an ihren warmen Arsch an, umarmte sie und schlief augenblicklich ein.
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Gelesen am 16.03.2018 beim salonabend Thomas